Boersen-Zeitung: Harte Bandagen, Kommentar von Bernd Freytag zum Streit zwischen der Europäischen Kommission und Microsoft
Frankfurt (ots)
Gegen die normative Kraft des Faktischen ist kein Kraut gewachsen. Im Streit zwischen der Europäischen Kommission und dem Softwareriesen Microsoft geht es schon lange nicht mehr darum, dem Markt für PC-Betriebssysteme so etwas wie Wettbewerb einzuhauchen. Das wird angesichts der Dominanz von Microsoft ohnehin nicht gelingen. Die Kommission ist dafür an anderer Stelle umso mehr gefordert: Sie hat sicherzustellen, dass das Monopol nicht missbraucht oder gar auf neue Märkte ausgedehnt wird.
Die Wettbewerbskommissarin Neelie Kroes ist nur konsequent. Nachdem Microsoft die europäische Exekutive seit zwei Jahren an der Nase herumführt und in dieser Zeit nicht willens war, die Auflagen zu erfüllen,geht's nun an den Geldbeutel: 1,5 Mill. Euro Strafe, Tag für Tag, rückwirkend zum 15. Dezember 2005 - in Summe 280 Mill. Euro.
Mit den bereits verfügten knapp 500 Mill. Euro belaufen sich die Bußgeldforderungen der EU auf eine Dreiviertelmilliarde Euro. Diese Strafe geht angesichts eines Nettogewinns von mehr als 12Mrd. Dollar im letzten Geschäftsjahr zwar nicht an die Substanz, aber sie ist spürbar und hinterlässt auch an der Börse Bremsspuren. Mit anderen Worten: Sie tut weh. Wenn sich die Wettbewerbsaufsicht ernst nehmen will, muss sie so handeln. Die Botschaft lautet: Es gibt dieses Monopol, und das werden wir kontrollieren, aber wir werden nicht zulassen, dass es sich auf andere Märkte erstreckt.
Das Wachstum im Kerngeschäft lahmt, und Microsoft strebt mit Macht an neue Fleischtöpfe. Nicht zufällig entzündete sich der Streit mit der EU an der zwangsweisen "Beimischung" des Media-Player in das Betriebssystem Windows. Im Kampf gegen Google und Yahoo um lukrative Internet-Erlöse, aber auch gegen Sony und Nintendo um die Vorherrschaft im Entertainment-Geschäft soll der Aufbau neuer Monopolstrukturen verhindert werden.
Zu weit hergeholt? Wer kennt heute noch Netscape? Einst Marktführer, wurde das Unternehmen nach Einführung von Microsofts Internet Explorer von der Bildfläche gefegt. An dieser Stelle sei nur erwähnt, dass in den USA schon vor fünf Jahren die Zerschlagung von Microsoft zur Debatte stand. Der Koloss überlebte als Einheit, doch der Preis dafür ist hoch. Gut, dass die europäischen Wettbewerbshüter jetzt härtere Bandagen angelegt haben.
(Börsen-Zeitung, 13.7.2006)
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