Börsen-Zeitung: Für jeden etwas dabei, Kommentar von Jürgen Schaaf zur Sitzung des EZB-Rats und der Leitzinsanhebung
Frankfurt (ots)
Wer von der auswärtigen Sitzung des Rats der Europäischen Zentralbank (EZB) in Paris neue Erkenntnisse erhofft hatte, wurde bitter enttäuscht. Zwar wurde Vollzug vermeldet, der Leitzins für den Euroraum wurde zum fünften Mal im laufenden Straffungszyklus um 25 Basispunkte auf jetzt 3,25% erhöht. Auch wurde durch den inzwischen etablierten Einsatz von Schlüsselwörtern ein weiterer Trippelschritt für Dezember signalisiert. Das alles aber ist kalter Kaffee und war vor dem Zusammenkommen des 18-köpfigen Entscheidungsgremiums in der Seine-Metropole längstens bekannt, sprich: von den Märkten eingepreist.
Aussagen, oder zumindest Informationen, über das weitere Vorhaben der Notenbank, die über das bekannte "We do what is necessary", um die Inflation zu bekämpfen, hinausgehen sollten, blieben aus. Anders als Vertreter nationaler Zentralbanken aus dem Eurosystem, die in den vergangenen Wochen aus ihren Herzen keine Mördergruben machten und ihre persönlichen Vorlieben zum "Zinsverlauf 2007" unters Volk brachten, verweigert der oberste Währungshüter, EZB-Präsident Jean-Claude Trichet, der wissenshungrigen Öffentlichkeit seine Einschätzung der Lage über einen Zeitraum von mehr als zwei Monaten.
Und so bleibt alles beim Alten, es ist für jeden etwas dabei. Wer sich eine Meinung zur Entwicklung der Zinsen im kommenden Jahr bilden will, muss sich zuvor darüber klar werden, was er von der Konjunktur erwartet. Sollte sich der Aufschwung im Euroraum fortsetzen - das Basisszenario der EZB -, wird der Straffungskurs fortgesetzt.
Sollte die Konjunktur jedoch abkühlen, weil die US-Wirtschaft den Rest der Welt nicht mehr mit ihrer Konsumwut stimuliert oder weil die Konsolidierungsbemühungen in Deutschland und Italien das Wachstum dämpfen, ist gleichwohl mit einer Zinspause Anfang 2007 zu rechnen.
Bislang ist das Gros der Volkswirte deutlich skeptischer als die Notenbank. Deswegen konnten die erwähnten "hawkischen" Kommentare einzelner EZB-Ratsmitglieder die Märkte auch nicht von ihrer Sicht der Dinge überzeugen.
Eine klarere Linie von Seiten der Notenbank wäre daher wünschenswert. Die Kommunikation ihrer Einschätzung zur Konjunktur mit der entsprechenden Reaktion - gerne als bedingte Prognose - würde einiges an Verwirrung beseitigen.
(Börsen-Zeitung, 6.10.2006)
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