Weser-Kurier: Der "Weser-Kurier" (Bremen) kommentiert in seiner Ausgabe vom 30. November 2011 die Verhaftung eines früheren NPD-Funktionärs in Zusammenhang mit der Neonazi-Mordserie:
Bremen (ots)
Braune Schnittmengen
von Joerg Helge Wagner
Sechs gegen 60 Millionen" hieß es einst literarisch über die erste Generation der Rote Armee Fraktion (RAF), die der Bundesrepublik von links außen den Terrorkrieg erklärt hatte. Sechs bislang identifizierte Köpfe hat auch der Nationalsozialistische Untergrund (NSU), der sieben Jahre lang eine mörderische Blutspur durchs wiedervereinigte Deutschland gezogen hat. Und in beiden Fällen ist klar: Ohne ein erheblich größeres sympathisierendes Umfeld wäre das jahrelange Leben und Wirken im Untergrund gar nicht möglich gewesen. Die gestrige Verhaftung des früheren Thüringer NPD-Vize Ralf Wohlleben belegt dies eindrucksvoll. Im Gegensatz zu den bereits verhafteten Unterstützern Andrè E. und Holger G. hat der braune Funktionär dem mörderischen Zwickauer Trio nicht bloß mit Bank- und Fahrkarten ausgeholfen, sondern mit einer Schusswaffe samt Munition. Für die Strafverfolger, aber auch für die Befürworter eines NPD-Verbots ist das auf makabre Weise ein Glücksfall: Da man davon ausgehen muss, dass Wohlleben die später mit der Waffe begangenen Verbrechen billigend in Kauf genommen hat, wäre endlich auch die Gewaltbereitschaft in der Führungsriege der NPD belegt. Dies wiederum ist Dreh- und Angelpunkt für ein Parteienverbot aus Gründen des Republikschutzes, das allein wegen menschenverachtender Parolen nicht verhängt werden kann - und im Sinne eines liberalen Staatsverständnisses auch nicht verhängt werden darf. Fatal wäre es jedoch, wenn neben der braunen Schnittmenge zwischen NPD und NSU noch eine weitere belegt würde: zwischen dem NSU und dem thüringischen Landeskriminalamt. Hinweise, dass ausgerechnet die schweigsame Überlebende des Zwickauer Trios während ihrer Untergrundjahre mit staatlicher "Deckung" operierte, sind längst nicht überzeugend widerlegt. Heute hätten dazu Vertreter der LKA im Innenausschuss des Bundestages aussagen sollen - sie werden von ihren Landesregierungen daran gehindert. Vertrauen in die staatlichen Institutionen schafft das nicht, es wirkt eher wie ein unfreiwilliges Geständnis. Die Schreibtisch-Terroristen der NPD werden es mit klammheimlicher Freude zur Kenntnis nehmen: Ein Verbot ist wohl doch nicht so nahe. joerg-helge.wagner@weser-kurier.de
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