Weser-Kurier: Der "Weser-Kurier" (Bremen) kommentiert in seiner Ausgabe vom 8. März 2012 die Pläne des Bundesfinanzministers Wolfgang Schäuble, Einkommen aus Freiwilligen-Diensten zu besteuern:
Bremen (ots)
Instinktlos
von Joerg Helge Wagner
Wolfgang Schäuble ist ein Intensivtäter, was den Umgang mit Testballons betrifft: ob es nun 1994 das Thesenpapier zum "Europa der zwei Geschwindigkeiten" war, im vorigen Jahr der geplante deutsche Alleingang zur Börsenumsatzsteuer oder in jüngster Zeit das Rütteln an der Schuldenbremse, um mehr Spielraum für mögliche weitere Hilfspakete zur Rettung maroder Euro-Staaten zu gewinnen. Zur Ehrenrettung des eigensinnigen Badeners muss man sagen, dass er so etwas nie aus Geltungssucht tut, sondern weil er komplexe Probleme lösen will. Die gab und gibt es reichlich: bei der europäischen Integration, bei der Kontrolle der Finanzmärkte, in der Euro-Krise und natürlich auch bei der Sanierung des Bundeshaushalts. So haben es auch die Pläne zur Besteuerung von freiwillig Wehr- oder Zivildienstleistenden (Bufdis) verdient, wenigstens geprüft zu werden, bevor man sie verwirft. Formal dürfte dem Juristen Schäuble kaum beizukommen sein: Auch das Eingangsgehalt bei der Truppe liegt deutlich über dem steuerlichen Freibetrag für Singles, und die Aufwandsentschädigung für einen Freiwilligendienst kann eben auch ein zusätzliches Einkommen sein. So weit, so nachvollziehbar. Was Schäuble und seine Referenten aber völlig ausblenden, ist der politische Hintergrund - und da muss sich der alte Polit-Kämpe den Vorwurf gefallen lassen, dass ihn sein Instinkt verlassen hat. Denn die Freiwilligendienste - ob nun im Kampfanzug oder im weißen Kittel - sind eben nicht Jobs wie alle anderen. Sie stützen ein gewaltiges, nicht zuletzt auch juristisch notwendig gewordenes Reformwerk ab: den Abschied von den Zwangsdiensten für junge Männer. Wie zuvor die Zivildienstleistenden sorgen die Bufdis für soziale Dienstleistungen, die sonst schlicht nicht bezahlbar wären. Und die freiwillig Wehrdienstleistenden verhindern die schleichende Überalterung und personelle Auszehrung der Bundeswehr. Sie entlasten also den Staat schon unmittelbar. Ihre geringen Einkommen jetzt auch noch zu besteuern, wäre nicht nur schäbig, sondern am Ende womöglich auch kostspielig. Dieser Schäuble-Ballon muss platzen. <QM>joerg-helge.wagner@weser-kurier.de
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