Weser-Kurier: Kommentar zum Verkauf von Munchs "Schrei"
Bremen (ots)
120 Millionen US-Dollar für ein zugegeben weltberühmtes Bild wie Edvard Munchs "Der Schrei" - das ist doch irrational, oder? Ja natürlich, weil der exorbitante Preis in keinem Verhältnis zum materiellen und ideellen Wert dieses Gemäldes steht, von dem es mehrere Versionen in Öl und als Lithografien gibt. Aber glaubt denn jemand, die Herrscherfamilie des Golf-Emirates Katar, die den Munch bei Sotheby's in New York angeblich ersteigert hat, ist verrückt geworden, schmeißt die Öl-Millionen nur so zum Fenster hinaus? Natürlich nicht. Selbst wenn man den neuen Besitzern des Munch-Bildes Kunstsinnigkeit unterstellte, selbst wenn dieses Gemälde zum Aushängeschild eines spektakulären Museums in der Golfregion werden sollte - den Käufern geht es schlicht um eine sichere Geldanlage, sicherer als die Investition in Rohstoffe, Aktien, Immobilien oder Gold. Werke der klassischen Moderne oder der alten Kunst sind wertbeständig, ja, sie werden als knappes Gut immer wertvoller. Es gibt mittlerweile in der Golfregion, in China, Indien und Russland so viele Milliardäre, die sich auf diesem Markt tummeln, dass mit weiteren Rekorderlösen zu rechnen ist. Und so ist ein Wahnsinnspreis von 120 Millionen US-Dollar für ein Werk Munchs noch nicht einmal ein spekulatives Geschäft, sondern eine absolut konservative Geldanlage. Riskant wäre allenfalls die Investition in zeitgenössische Kunst, weil sich in dieser Sparte des Kunstmarktes die Wertentwicklung manchmal erst nach Jahrzehnten absehen lässt. Gewinner dieser Entwicklung sind natürlich die Bildbesitzer, die sich von ihrer Kunst trennen, und die Auktionshäuser. Verlierer sind eindeutig die Kunstmuseen und die öffentlichen Kulturstiftungen, die sich weltweit schon lange keine Ankäufe etablierter Kunst mehr leisten können. Ihnen bleibt nur die Hoffnung, dass millionenschwere Anleger ihren wertvollen Besitz an sie ausleihen, damit die kunstsinnige Öffentlichkeit weiter Zugang zu diesen Werken hat. Ach ja, und die Künstler sind auf diesem Wahnsinnsmarkt mit seinen wirtschaftlichen Rationalitäten bis auf ganz wenige Ausnahmen nur noch Randfiguren.
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