Weser-Kurier: Zur Debatte über die Rentenbeiträge schreibt der Bremer "Weser-Kurier" in seiner Ausgabe vom 4. August:
Bremen (ots)
Wenn Politik doch so einfach wäre, und Entscheidungen quasi wie von selbst fallen würden, automatisch sozusagen. Doch so simpel funktioniert das nicht, was die da in Berlin anstellen. In der Politik ist alles Kalkül, wer sich dort behaupten will, muss vorausschauend handeln - und manchmal auch Glück haben. Glück hat jetzt die Bundesregierung, denn trotz Euro- und Bankenkrise läuft es in Deutschland, wirtschaftlich gesehen, immer noch rund. Die gut gefüllten Rentenkassen sind ein Indikator für die stabile Lage. Dass sich dort bis zum Jahresende voraussichtlich eine Rücklage in Höhe von 28,8 Milliarden Euro angesammelt haben dürfte, lässt die schwarz-gelbe Koalition frohlocken. Nach geltendem Recht heißt das nämlich: Sind die Reserven so hoch, muss der Beitragssatz gesenkt werden. Im nächsten Jahr allerdings, welch ein schöner Zufall, ist Bundestagswahl. Da trifft es sich gut, wenn eine Bundesregierung Erfolge vorweisen und Geschenke verteilen kann. Die Arbeitnehmer müssen weniger Rentenbeiträge zahlen, die Arbeitgeber können ihre Lohnnebenkosten reduzieren. Eine feine Sache, gegen die eigentlich niemand etwas haben könnte und die folglich auch kommen muss, weil - so die Wirtschaftsvertreter - dieser gesetzliche Automatismus bei der Beitragssenkung "einfach zwingend" sei. Doch da unterschätzen die Arbeitgeber die Politik. Zwingend oder alternativlos, um mal ein Lieblingswort der Kanzlerin zu wählen, ist die Beitragssatzsenkung nämlich nicht. Zugegeben, sie steht derzeit im Gesetz, doch was heißt das schon. Alternativen gibt es immer, und wo ein Wille ist, ist auch ein Weg. Wir erinnern uns an das Jahr 2008. Auch damals stand eine Bundestagswahl vor der Tür und das geltende Recht hatte den 20 Millionen Rentner einige Nullrunden beschert. Durch eine außerplanmäßig beschlossene Rentenanpassung wurde das von der Großen Koalition kurzerhand korrigiert, und die Renten stiegen im Wahljahr 2009 um 2,41 Prozent. So einfach ist das also, wenn politischer Wille im Spiel ist. Dumm nur, dass eine Beitragssatzsenkung diesmal auch der Bundesregierung nützt. Da zählen die guten Gründe wenig, die es überlegenswert erscheinen lassen, die volle Rentenkasse zu nutzen, um Vorsorge zu treffen: für die Bekämpfung wachsender Altersarmut oder um steigende Reha-Kosten zu decken, damit die Versicherten in der Lage sind, bis 67 zu arbeiten. All das wäre sinnvoll, doch jetzt soll verteilt werden - die Rentenbeiträge werden sinken. Und so gibt es ihn also doch, den zwingenden Automatismus in der Politik. Diesmal jedenfalls.
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