Weser-Kurier: Zum Parteitag der Piraten schreibt der "Weser-Kurier" (Bremen) in seiner Ausgabe vom 2. Dezember 2013:
Bremen (ots)
Ja, sie haben schon bessere Zeiten erlebt, die Piraten. Wer erinnert sich nicht an ihren Einzug in den Berliner Senat - junge, schräge Typen, die den Politikbetrieb aufmischen wollten. Und jetzt: Der Einzug in die Länderparlamente ist gestoppt, der angepeilte Sprung in den Bundestag ging komplett daneben. Neue Wählerschichten zu erschließen gelingt ihnen nicht, und die bisherigen wenden sich anscheinend gelangweilt oder frustriert ab. Doch diese Fakten beschreiben noch nicht mal das ganze Dilemma. Wer das Treffen am Wochenende verfolgt hat, vermisst die einstige Aufbruchstimmung: Statt rund 2000, wie beim Parteitag 2012, kamen nur gut 1000 Mitglieder nach Bremen. Bernd Schlömer, der anderthalb Jahre lang den kräftezehrenden Job an der Spitze gemacht hatte und zum Schluss erleichtert "wieder frei" twitterte, bekam zum Abschied noch nicht einmal Blumen. Dafür geizten die Piraten nicht mit harscher Kritik, oft hart an der Grenze zur Beschimpfung. Der rüde Ton aus dem Netz schwappte gewissermaßen ins reale Leben. Viele der Fragen der Mitglieder an die Kandidaten für die Spitzenposten glichen eher Vorwürfen. Einem Bewerber wurde nach ziemlich kruden Vorhaltungen sogar das Mikro abgedreht. Mit ihrem Hang zur Selbstzerfleischung gleichen die Piraten den frühen Grünen. Doch anders als jene finden sie nicht die zündenden Themen, mit denen sie mehr als ihre Kernklientel ansprechen. Wer sich am liebsten zwei Tage lang mit Geschäftsordnungen und Satzungsänderungen beschäftigt, kommt beim Wähler nicht an. Und, nicht zuletzt: Die Partei braucht Kontinuität und Führungsleute, die sich einen gewissen Bekanntheitsgrad erarbeiten können und nicht nach spätestens anderthalb Jahren wieder verschwinden. Dass der neue Vorsitzende Thorsten Wirth künftig auf echte Führung und nicht lediglich auf Moderation setzen will, lässt sich dabei als hoffnungsvolles Zeichen werten. Die Piraten haben - gerade in Anbetracht des eingefahrenen und oft ermüdenden Politikbetriebes - mit ihrer Jugend und unkonventionellen Art viele Menschen begeistert. Und sie haben ein Politikfeld entdeckt, das bis dato brach lag. Nun kommt es darauf an, erwachsen zu werden - nicht zu verwechseln mit angepasst. Das wird schwer genug. Und die Partei hat nicht ewig Zeit. Im Mai steht die Europawahl an. Ein erster Test, ob der am Wochenende eingeschlagene Weg der richtige ist.
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