Weser-Kurier: Zu US-Präsident Barack Obamas Rede an die Nation schreibt der Bremer WESER-KURIER:
Bremen (ots)
Wenn etwas haften bleibt von dem, was Barack Obama zur Lage der Nation zu sagen hatte, dann wohl am ehesten ein Afghanistan-Veteran namens Cory Remsburg. Von einem Sprengsatz so schwer verletzt, dass er monatelang im Koma lag, von Ärzten mit allen Mitteln medizinischer Kunst zusammengeflickt, noch immer blind auf einem Auge, saß er auf der Ehrentribüne des Parlaments, um sich feiern zu lassen. Als ein Symbol jenes landestypischen Kampfgeists, den seit George Washington alle US-Präsidenten so gern beschwören. Standing Ovations für einen Kriegsinvaliden: In Mitteleuropa mag man den Kopf schütteln über solche Spektakel, in Washington gehören sie zum politischen Diskurs durchaus dazu. Und bisweilen sind sie, wie diesmal, auch nur emotionaler Ersatz für mangelnde Substanz. Barack Obama, der mit zu viel Vorschusslorbeeren bedachte Reformer, der im rhetorischen Überschwang sogar den Anstieg der Ozeane zu stoppen versprach, kann nur noch Schwarzbrot anbieten. Es geht nicht anders, das parlamentarische Patt hat ihm die Hände gebunden. Die Republikaner, im Stimmungsbild übrigens noch schlechter bewertet als der Staatschef, denken nicht daran, ihre Totalopposition aufzugeben. Der Kongress mag sich, so belegen es Meinungsumfragen, bei 87 Prozent der Amerikaner sämtliche Sympathien verscherzt haben, geradezu degradiert zu einem verspotteten Symbol der Handlungsunfähigkeit. Es ändert nichts an den "checks and balances" des politischen Systems, die dem scheinbar mächtigsten Mann der Welt täglich aufs Neue die Grenzen seiner Macht aufzeigen. Die Blockade ist Realität, und der Realpolitiker Obama hat sich ihr angepasst. Er operiert verstärkt mit Dekreten, was bedeutet, dass sich sein Regieren auf kleinere Schritte beschränkt. Da sind höhere Mindestlöhne für Köche und Pförtner, sofern ihre Arbeitgeber von Staatsaufträgen leben. Da ist ein neuer Rentensparplan. Manches wichtige Thema wie die Rivalität mit China oder den Klimaschutz hat der Präsident ausgespart. Vieles klang eher nach der Vorsicht einer Angela Merkel als nach jener historischen Figur, die sich beim Start gern in eine Reihe mit Lincoln und Roosevelt stellen ließ. Das Wagnis der Hoffnung, das war gestern. Heute geht es darum, in den zerrissenen Vereinigten Staaten den kleinsten gemeinsamen Nenner zu finden. Den Fortschritt in Form einer Schnecke.
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