Rheinische Post: Kommentar: Volkswagen braucht eine neue Kultur
Düsseldorf (ots)
Am Ende blieb Martin Winterkorn keine andere Wahl: Er musste als Volkswagen-Chef zurücktreten, weil der Abgasskandal alle Werte in Frage stellte, für die der Konzern steht: Solidität, Seriosität, Qualität. Und auch wenn der 68-Jährige keine persönliche Schuld an den Manipulationen hat, so steht er als Konzernchef doch in der Gesamtverantwortung: Entweder wusste er von nichts und hat den Laden nicht im Griff. Oder er ließ die Ingenieure gewähren und war damit Teil des betrügerischen Systems. Beides ist ein zwingender Grund zu gehen. Das scheint Winterkorn aber bis jetzt nicht einzusehen. Er trete zurück, obwohl er sich keines Fehlverhaltens bewusst sei, erklärte er trotzig. So spricht einer, den man aus dem Amt drängen musste. Und der bis heute nur darauf schaut, was er für den Konzern unzweifelhaft geleistet hat, aber nicht sieht, dass er auch Teil eines kranken Systems war. Volkswagen braucht mehr als einen Rücktritt von Martin Winterkorn. Volkswagen braucht eine neue Führungskultur. Der Konzern mit seinen dominanten Familien als Eigentümern ist hierarchisch bis autoritär geführt. Selbst Topmanager sind es dort gewohnt, ergeben zu gehorchen. In einem Unternehmen ohne Widerspruchsgeist aber gibt es keine gesunde gegenseitige Kontrolle. Das erklärt auch, wieso gerade das Volkswagen-Reich immer wieder gut für Schlagzeilen ist: Man denke an die Affäre um den Einkaufsvorstand Lopez, die Lustreisen-Affäre um käufliche Betriebsräte oder die missglückte Übernahme durch Porsche, deren Folgen bis heute die Gerichte beschäftigen. In der Vergangenheit hat der VW-Aufsichtsrat, in dem mit der niedersächsischen Landespolitik und der IG Metall mehr gute Freunde als scharfe Kontrolleure von VW sitzen, mit Aufklärung und Ahndung oft gezögert. Dieses Mal hat er konsequent gehandelt. Doch das reicht nicht. Die Kontrolleure um ihren Interimschef Berthold Huber müssen nicht nur rasch einen überzeugenden Nachfolger für Winterkorn, sondern zudem eine neue Führungskultur in dem Konzern etablieren, damit Kunden, Mitarbeiter und Aktionäre Volkswagen wieder vertrauen. Hier hat der Aufsichtsrat auch eine Verantwortung für den Standort Deutschland. Volkswagen ist nicht nur der umsatzstärkste Konzern Deutschlands, sondern auch eine der bekanntesten deutschen Marken in der Welt. Wenn der Abgas-Skandal dazu führt, dass "Made in Germany" schon jetzt mit "Fake in Germany" übersetzt wird, schadet das viel mehr Unternehmen als nur VW. Die Reparaturarbeiten in Wolfsburg stehen erst am Anfang.
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