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Rheinische Post: Richtungsjahr für Europa Kommentar Von Michael Bröcker

Düsseldorf (ots)

Man ist als Journalist vorsichtig geworden mit Prognosen. Zuletzt kam die Realität oft dazwischen. Krim-Annexion, Donald Trump, Brexit, die Rekorde der Grünen, das Vorrunden-Aus der Nationalelf. Wer hätte es gedacht? Und doch lässt sich für 2019 eines sicher sagen: Die politischen (Wahl-)Entscheidungen sind richtungsweisend. Bei der Europawahl im Mai geht es um die Zukunftsfähigkeit der Europäischen Union als freiheitliche, demokratische, marktwirtschaftliche und supranational agierende Wertegemeinschaft. Dagegen stehen die Rechtspopulisten, die Brüssel verachten und sich in das vermeintlich wohlig-warme Zeitalter der Nationalstaaten zurücksehnen. Sollten die Rechtsparteien im Europäischen Parlament nach der Wahl die stärkste Fraktion bilden, können sie EU-Gesetzgebung blockieren. Es wäre das schleichende Ende der Union. Dabei brauchen wir das Gegenteil von Nationalismus. Mehr Zusammenarbeit, mehr Integration bei den Themen Digitalisierung, Migration, Wettbewerbsfähigkeit. Europas Abstieg bei Zukunftstechnologien ist dramatisch. Überspitzt formuliert: Wir sind Weltmarktführer von gestern. Stahl, Maschinen, Autos. Kerngeschäft des 20. Jahrhunderts. Die Exportschlager von morgen lauten aber IT, Big Data, Künstliche Intelligenz. Hier liegen die USA und Südostasien vorne. Von den 100 Unternehmen mit dem weltweit größten Marktwert (ein Indikator für die Zukunftserwartungen der Investoren) haben 57 ihren Sitz in Nordamerika, nur 22 in Europa. Unter den Top 20 ist mit dem Schweizer Lebensmittelriesen Nestlé nur ein (!) Unternehmen aus Europa. Siemens folgt als erstes deutsches Unternehmen auf Rang 61. Wenn Europa auf dem Weltmarkt noch eine Chance haben will, müsste es massiv in Rahmenbedingungen für eine (industriell basierte) IT-Ökonomie, in Forschung und Bildung investieren und die klügsten Köpfe der Welt anlocken. Groß denken. Aber wir sind uns ja nicht mal einig, welche Gleistechnik für Züge gelten soll. Es ist keine Schwarzmalerei, wenn Europa in 40 Jahren als kulturgeschichtlich anspruchsvolles Museum die Touristen der Welt in die schmucken Altstädte lockt, aber in der Weltwirtschaft nichts mehr zu sagen hat. Ja, die europäische Erzählung von dem Friedenskontinent, die sich aus dem "Nie wieder" nach Auschwitz speist, bleibt faszinierend und richtig. Aber sie reicht nicht, wenn man sich die Erfolge der Salvinis, Le Pens und Gaulands anschaut. Ein neues Narrativ muss ökonomisches Kalkül einbeziehen. Wohlstandssicherung geht nur in einem Europa.

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