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Rheinische Post: Schwarze Chefin, rote Politik?

Düsseldorf (ots)

Von Sven Gösmann
Ein Tag wie der gestrige in Berlin birgt die Gefahr, dass man ihn 
nur parteitaktisch interpretiert. Wer hat gewonnen, wer verloren? Ist
das Spiel nun 8:6 (nach Ministerposten) für die SPD ausgegangen oder 
1:0 (nach Kanzlern) für die Union? So seltsam sich das nach dem 
Gezerre der vergangenen Wochen erst einmal anhören mag: Es ist fast 
egal.
Denn worum es vor allem anderen geht, hat Bundespräsident Horst 
Köhler drastisch formuliert, als er Ende Juli den Bundestag auflöste 
und so Neuwahlen ermöglichte: "Unser Land steht vor gewaltigen 
Aufgaben. Unsere Zukunft und die unserer Kinder steht auf dem Spiel. 
Millionen von Menschen sind arbeitslos, viele seit Jahren. Die 
Haushalte des Bundes und der Länder sind in einer nie da gewesenen 
kritischen Lage." Köhler forderte: "In dieser Situation braucht unser
Land eine Regierung, die ihre Ziele mit Stetigkeit und mit Nachdruck 
verfolgen kann."
Diese Regierung könnte die viel geschmähte große Koalition werden. 
Man muss dieses Bündnis der Wahlverlierer des 18. September nicht 
lieben, um seine Chance zu erkennen: stabile Mehrheiten für nötige 
Reformen herzustellen und das weiterzuführen, was mit der Agenda 2010
begonnen wurde. Zumindest für die paar Jahre, die phantasievollere 
politische Pflänzlein wie die Jamaika-Koalition aus Schwarz-Gelb-Grün
noch zum Reifen brauchen. So lange hat Schwarz-Rot 
Gestaltungsmöglichkeiten, die es nutzen muss. Weil ein schnelles 
Scheitern der großen Koalition an der eigenen Zaghaftigkeit nicht nur
den Niedergang des Landes, sondern auch den von SPD und Union 
beschleunigen würde.
Das gilt ebenso für die wahrscheinlich erste Kanzlerin. Mit Angela 
Merkel bietet die Union eine derzeit nicht sonderlich populäre 
Regierungschefin auf. Noch hat sie ihre Qualitäten vor allem auf dem 
Feld der Machtpolitik. Das macht sie nicht zur Bannerträgerin 
derjenigen, die unter Emanzipation eine von Männern zugelassene und 
begrenzte Teilhabe an der Macht verstehen. Aber es hält sie politisch
überlebensfähig: Merkel hat nach allen schönen und schmutzigen Regeln
der Politik Kohl, Stoiber und andere hinter sich gelassen. Seit 
gestern sogar Gerhard Schröder, den "Medienkanzler". Der hatte noch 
am Wahlabend im Testosteron-Rausch versucht, sie zur einsamen 
Verliererin zu stempeln. Merkel duckte sich weg und gewann am Ende.
Nicht einmal den Verhandlungserfolg, den viele im Überhang an 
Fachministern der SPD wittern, hat die CDU-Chefin Schröder und seinem
Steuermann Müntefering gegönnt: Mit der Festlegung auf Finanzen, 
Arbeit und Gesundheit werden viele Grausamkeiten künftig die 
Unterschrift sozialdemokratischer Ressortchefs tragen. Das macht den 
Weg zur Hintertür Neuwahlen für die SPD weitaus schwieriger. Zumal 
die SPD auf die politische Sitzriesin Angela Merkel personell noch 
keine Antwort gefunden hat, wie die wirre Suche nach einem 
Vizekanzler beweist.
Viel ist in Berlin in Bewegung geraten. Das ist nicht schlecht. Auch 
das bleibt von gestern.

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