Rheinische Post: Die Freiheit, die Merkel meint Von SVEN GÖSMANN
Düsseldorf (ots)
Die immer noch in weiten Teilen staatsgläubige Politikerkaste zeichnet allzu gern das Bild von sich, alle Probleme lösen zu können. In jedem Wahlkampf wird dem Volk die Vision vom großen Sprung nach vorn verkauft. Angela Merkel hat dem vor der Wahl ihre neue Taktik der Ehrlichkeit entgegengesetzt. Die Folge war, dass sie am Ende zwar die Kanzlerschaft gewann, ihre Partei die Wahl jedoch verlor. Trotzdem hält Merkel, ganz sture Norddeutsche, an ihrer Strategie fest. In ihrer ersten Regierungserklärung lobte sie nüchtern den matten Glanz des Machbaren, statt das leuchtende Gold der Traumschlösser zu preisen. Ihr Motto lautet: Auch viele kleine Schritte ergeben einen Weg.
Die erste gelernte Naturwissenschaftlerin im Kanzleramt will den Deutschen eine ganz neue Lektion beibringen. "Mehr Freiheit wagen", schrieb sie den legendären Leitsatz eines sozialdemokratischen Vorgängers um. Also Brandts Enkelin, nicht Kohls Mädchen? Gemach. Die durch den Zerfall der DDR geprägte Kanzlerin verwendet den Begriff der Freiheit nicht nur ökonomisch, sondern vor allem politisch: Misstrauen gegen die Regelungswut jeden staatlichen Systems heißt bei ihr noch nicht, dass sie die neoliberale Entfesselung des Marktes propagiert. Sie fordert stattdessen mehr von jedem einzelnen, weil sie ihm auch mehr zutraut, als er bisher zeigen darf. Das ist eine Verbeugung vor dem Gedanken des freien, mündigen Bürgers. Und es klingt gut.
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