Rheinische Post: Ferien von der großen Koalition
Düsseldorf (ots)
Von Sven Gösmann
Irgendwie sah Angela Merkel diesmal erleichtert aus, als sie sich in den Sommerurlaub verabschiedete. Anders als in den vergangenen Jahren verriet ihr Umfeld jedoch nicht, wo sich Frau Merkel entspannt - ob in ihrem eigenen Ferienhäuschen in der Uckermark oder ob es sie wieder zum Wandern nach Norditalien zieht wie in den vergangenen Jahren. Selbst auf ihren schon traditionellen Besuch bei der Wagner-Premiere verzichtete sie dieses Jahr. Sie komme im Herbst nach Bayreuth, hieß es aus Berlin. Wahrscheinlich lautet das Kalkül der Medienberater der Kanzlerin, dass sie die Öffentlichkeit besser nicht mit heiteren Urlaubsfotos vergrätzt, wo doch vielen Deutschen und auch den Merkel-Anhängern schon länger das Lachen vergangen ist. Gut acht Monate ist Merkels große Koalition inzwischen im Amt, und viele Erwartungen der Deutschen an diese Koalition sind nicht erfüllt worden. Dabei war nach dem Patt am Wahlabend des 22. September 2005 eigentlich mit jedem Tag der Koalitionsverhandlungen die Erwartung gewachsen, die beiden Volksparteien würden sich gemeinsam dazu durchringen, die überfälligen Reformen in Deutschland anzupacken. Große Koalition = große Wirkung, so dachten die Wähler. Die Rechnung ist nicht aufgegangen. Die Koalitionäre haben sich vielmehr verständigt, mit vielen kleinen Schritten einen Umschwung schaffen zu wollen. Das ist bislang nicht gelungen. Zwar gibt es ein paar Arbeitslose weniger, meldet die Wirtschaft etwas bessere Auftragszahlen der große Ruck im Land blieb aus. Und wenn man in den ersten Monaten der großen Koalition mal so etwas wie Bewegung spürte, dann war das während der Fußball-Weltmeisterschaft, als die Nationalelf weitaus besser spielte und abschnitt als erwartet. Von solch einem Triumphzug, wie ihn die deutschen Kicker erlebten, können die Kanzlerin und ihre Koalitionspartner nur träumen. Mit Blick darauf, im Poker um Sachentscheidungen gegenüber der jeweils anderen Partei nicht als Verlierer dazustehen, mixten CDU/CSU und SPD ihre Konzepte und schufen daraus ein unverdauliches Gebräu. Nur ein Beispiel: die Reform des kränkelnden deutschen Gesundheitswesen. Wenn die Deutschen zum Arzt gehen, ist das zu teuer, zu bürokratisch und ineffizient. Die Antwort der Merkel-Regierung darauf war keine Reform an Haupt und Gliedern, sondern ein hilfloses Herumdoktern. Am Ende staunten die Deutschen über eine Reform, die sowohl liberale wie sozialistische Elemente beinhaltet. Eine neue Behörde muss gegründet werden, und die Beiträge zur Krankenversicherung steigen. Da hält sich der Beifall in Grenzen. Und deshalb ist es wohl so, dass die Deutschen ganz froh sind, dass ihre Kanzlerin und die meisten ihrer Minister erstmal Urlaub machen. Wer nichts tut, macht auch nichts verkehrt, lautet die neue Gleichung. Mal sehen, ob wenigstens die aufgeht.
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