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„Wie tickt Deutschland?“: Antisemitismus, Antizionismus und pro-palästinensische Einstellungen in Deutschland

„Wie tickt Deutschland?“: Antisemitismus, Antizionismus und pro-palästinensische Einstellungen in Deutschland

Im zweiten Bericht der Serie „Wie tickt Deutschland?“ untersuchen die Mannheimer Professoren Dr. Marc Helbling und Dr. Richard Traunmüller die Zusammenhänge zwischen traditionellem Antisemitismus, Antizionismus und pro-palästinensischen Einstellungen bei Menschen unterschiedlichen Alters, politischer Einstellung und unterschiedlicher Bildungsabschlüsse in Deutschland.

Seit dem Ausbruch des Gaza-Kriegs verzeichnet Deutschland einen deutlichen Anstieg anti-israelischer Protestaktionen. Der angemessene Umgang mit israelkritischen Positionen auf Demonstrationen, in den sozialen Medien und in der öffentlichen Debatte spaltet dabei die deutsche Bevölkerung. Das German Internet Panel (GIP) hat nun untersucht, in welchen Gesellschaftsschichten Antisemitismus, Antizionismus und pro-palästinensische Einstellungen verbreitet sind. Dafür haben die Forscher im Januar dieses Jahres 3.702 Bürger*innen in Deutschland befragt.

Traditioneller Antisemitismus und Antizionismus

Die Daten zeigen, dass traditionell antisemitische Einstellungen in der deutschen Gesellschaft nach wie vor deutlich nachweisbar sind. So sind 8 Prozent der deutschen Bevölkerung (eher) der Meinung, dass Jüd*innen „mehr hinter Geld her“ seien als andere Menschen. Und 13 Prozent stimmen der Aussage (eher) zu, dass Jüd*innen „zu viel Einfluss in der Welt“ hätten. Noch höher ist der Anteil derjenigen, die die Ansicht vertreten, Jüd*innen sprächen „nur über den Holocaust, um ihre politische Agenda voranzutreiben“ (18 Prozent). Während sich der traditionelle Antisemitismus direkt auf Jüd*innen als soziale Gruppe bezieht, fokussiert sich der antizionistische Antisemitismus auf den Staat Israel und macht Jüd*innen kollektiv für die Politik des Staates verantwortlich. Nicht selten werden antizionistische Aussagen bewusst unter dem Deckmantel der „Israelkritik“ versteckt.

Antizionistische bzw. israelfeindliche Aussagen finden in Teilen der Bevölkerung ebenfalls Anklang. Jedoch gibt es einen großen gesellschaftlichen Konsens in Deutschland darüber, dass Israel das Recht hat „als Heimatland für das jüdische Volk zu existieren“. 82 Prozent der Befragten stimmten dieser Aussage zu. 86 Prozent räumten dem Staat Israel das Recht ein, sich gegen diejenigen zu verteidigen, die es zerstören wollen. Der Aussage, palästinensische Terrorist*innen seien als „Freiheitskämpfer“ zu verstehen, wird von den Befragten eine klare Absage erteilt: Nur rund sechs Prozent würden der Aussage zustimmen.

Meinungsverschiedenheiten zwischen verschiedenen Gruppen

Die GIP-Daten belegen, dass der traditionelle Antisemitismus am stärksten ausgeprägt ist bei Menschen über 65, die sich politisch rechts verorten und keinen Universitätsabschluss besitzen (Mittelwert 2,7 auf einer Skala von 1 bis 5). Junge Menschen unter 35, die sich politisch links verorten, sind die am wenigsten antisemitisch eingestellte Gruppe im Vergleich (Mittelwert 1,4). Ebenso weisen junge Menschen mit Universitätsabschluss weniger antisemitische Vorurteile auf als ihre Altersgenossen ohne.

Die Unterschiede nach Alter, politischer Orientierung und Bildungsabschluss in Bezug auf den antizionistischen Antisemitismus sind dagegen vernachlässigbar und relativ gering (Mittelwerte zwischen 1,8 und 2,0).

Pro-palästinensische Einstellungen

Was die Gruppe der jüngeren Menschen, die sich politisch links einordnen, von anderen gesellschaftlichen Gruppen jedoch besonders unterscheidet, ist ihre ausgeprägte pro-palästinensische Haltung: Der Mittelwert von 3,3 (Skala von 1 bis 5) zeigt, dass sie besonders starke Sympathien für Palästina hegen. Die größten Meinungsverschiedenheiten zum Thema Palästina verlaufen nach Erkenntnissen der Autoren dabei nicht zwischen, sondern innerhalb der Generationen. Im Vergleich zu ihren linken Altersgenossen haben unter 35-jährige im rechten politischen Spektrum deutlich geringere Sympathien für die palästinensische Seite (Mittewert 2,6).

Darüber hinaus zeigen junge, akademische und links-verortete Menschen auch die höchste Akzeptanz für scharfe bis extreme Israelkritik, was sich laut Autoren teilweise mit der ausgeprägten pro-palästinensischen Einstellung erklären lässt. Grundsätzlich zieht die deutsche Bevölkerung aber strikte Grenzen, wenn es um das Existenzrecht Israels geht: Nur 35 bzw. 26 Prozent der Befragten würden Äußerungen, die Israel das Existenzrecht absprechen, in den sozialen Medien bzw. Demonstrationen mit einer solchen Forderung erlauben.

Insgesamt lassen sich kaum Indizien dafür finden, dass pro-palästinensische Einstellungen mit dem traditionellen Antisemitismus verknüpft sind. Der Wert der entsprechenden Korrelation für die Gesamtbevölkerung ist mit 0,07 verschwindend gering, für links-verortete Personen mit Universitätsabschluss überhaupt nicht vorhanden (-0,04).

„In der deutschen Gesamtbevölkerung sind pro-palästinensische Einstellungen weitestgehend frei von traditionellem Antisemitismus. Und auch wenn radikale Gruppen von Aktivisten mit antisemitischen Parolen auffallen, so lässt sich dies nicht für das linke, akademische Milieu als Ganzes verallgemeinern“, so die Forscher.

Den Policy Brief des GIP „Wie tickt Deutschland? 2/2024“ finden Sie hier: https://www.uni-mannheim.de/news/gip-policy-brief-2-24/

Die neue Berichtserie „Wie tickt Deutschland?“

Die Berichtserie „Wie tickt Deutschland?“ macht in kurzen Reports ausgewählte Zahlen, Fakten und Analysen des German Internet Panels einer interessierten Öffentlichkeit, Journalist*innen und gesellschaft­lichen Entscheidungs­träger*innen zugänglich. Damit möchte die Reihe einen evidenz­basierten Beitrag zu aktuellen, gerade auch kontroversen gesellschaft­lichen und politischen Debatten leisten. Sie ist dabei ausschließlich wissenschaftlicher Evidenz und keiner politischen Sache verpflichtet.

Das German Internet Panel (GIP) ist eine langfristige Studie an der Universität Mannheim. Das GIP unter­sucht individuelle Einstellungen und Präferenzen, die in politischen und wirtschaft­lichen Entscheidungs­prozessen relevant sind. Zu diesem Zweck werden seit 2012 regelmäßig in ganz Deutschland über 3.500 Personen im Alter zwischen 16 und 75 Jahren zu den verschiedensten Themen online befragt.

Kontakt:
Prof. Dr. Richard Traunmüller
Lehrstuhl für Politische Wissenschaft und Empirische Demokratieforschung
Universität Mannheim
E-Mail:  traunmueller@uni-mannheim.de 
Yvonne Kaul
Forschungskommunikation
Universität Mannheim
E-Mail:  kaul@uni-mannheim.de 
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