Bundesgeschäftsstelle Landesbausparkassen (LBS)
Wer hat größere Rechte?
Eigenbedarfskündigungen sind vor Gericht oft heftig umstritten (BILD)
Berlin (ots)
Auf den ersten Blick ist alles ganz einfach: Wenn jemand eine Wohnung oder ein Haus besitzt, dann sollte es ihm auch möglich sein, nach Wunsch darin zu wohnen. Schließlich handelt es sich ja um persönliches Eigentum, das grundgesetzlich abgesichert ist. Auf den zweiten Blick wird das alles aber schon komplizierter: Denn was ist, wenn genau in dieser Immobilie bereits andere Menschen wohnen, die das Objekt im Vertrauen auf eine langfristige Nutzung gemietet haben? Wessen Rechte überwiegen dann?
Genau in diesem Spannungsfeld befinden sich die Verfahren wegen Eigenbedarfskündigung. Die Rechtsprechung hat im Laufe der zurückliegenden Jahrzehnte viele mögliche Konstellationen geprüft und darüber entschieden, wann der Eigenbedarf höher zu bewerten ist als die Rechte eines Mieters und umgekehrt. Der Infodienst Recht und Steuern der LBS hat in seiner Extra-Ausgabe acht Urteile zu diesem Thema gesammelt.
Grundsätzlich gilt die Regel, dass betagte Mieter, die oft schon sehr lange in dem Objekt leben, einen besonderen Schutz genießen. Sie können, je kränker sie sind, umso weniger gezwungen werden, ihre angestammte Heimat zu verlassen. Doch das Alter ist nicht immer ein zwingendes Argument, wie zwei gegenlautende Urteile beweisen.
Das Amtsgericht Dieburg (Aktenzeichen 20 C 29/12) betrachtete es zwar als unzumutbar, einer 83-jährigen Frau wegen Eigenbedarfs zu kündigen. Die Betroffene konnte zwei ärztliche Gutachten vorlegen, wonach sie in ihrer Bewegungsfähigkeit so eingeschränkt sei, dass Umzug und Neubeginn an einem anderen Ort kaum vorstellbar seien. Erschwerend kam hinzu, dass die neue Eigentümerin bereits beim Erwerb gewusst hatte, dass die Immobilie seit vielen Jahren von einer älteren Dame bewohnt wird.
Einem ein Jahr älteren, also 84-jährigen Mieter wurde jedoch genau das zugemutet, was man im vorigen Fall für unmöglich gehalten hatte. Der Mann wohnte seit vier Jahrzehnten in einer 68 Quadratmeter großen Wohnung und sollte weichen, weil eine vierköpfige Familie aus ihrer bisherigen 54 Quadratmeter großen Mietwohnung in die eigene Immobilie umziehen und sich so wenigstens ein klein wenig räumlich vergrößern wollte. Das Landgericht Frankfurt/Main (Aktenzeichen 2-11 S 110/11) stimmte dem zu. Der Mieter sei trotz mancher Behinderungen noch ausreichend mobil für einen Umzug. Man dürfe bei alledem die Entwicklungsmöglichkeiten für die beiden Kinder der Eigentümer nicht aus dem Blick verlieren, deswegen sei es zu der Entscheidung gekommen.
Wer fällt überhaupt unter den Personenkreis, zu dessen Gunsten wegen Eigenbedarfs gekündigt werden kann? Bei Kindern und Eltern des Eigentümers gibt es keine Zweifel, bei ihm selbst ohnehin nicht. Aber auch Nichten und Neffen zählen nach einem Urteil des Bundesgerichtshofs (Aktenzeichen VIII ZR 159/09) dazu. Zwar liefere der Gesetzgeber in der Hinsicht keine genauen Vorgaben, heißt es in dem schriftlichen Urteil, aber "die generelle Einbeziehung von Nichten und Neffen in den Kreis der privilegierten Familienangehörigen" auch in anderen Rechtsgebieten spreche deutlich dafür. Ausdrücklich nennen die Richter in dem Zusammenhang das Zeugnisverweigerungsrecht, das die Geschwisterkinder besäßen.
Oft kommt es in einem Eigenbedarfsverfahren gar nicht zu einem gerichtlichen Urteil. Wenn die beiden Parteien zuvor einen Vergleich schließen, erübrigt sich das. In einem Mannheimer Fall war die Sachlage noch etwas komplizierter. Die Eigentümer hatten ihren Mietern gekündigt, dann hatte man einen Vergleich geschlossen. Später aber stellte sich heraus, dass die ursprünglich genannten Gründe gar nicht ausgereicht hätten. Die Mieter fühlten sich geprellt und forderten Schadenersatz. Dem aber widersprach das Amtsgericht Mannheim (Aktenzeichen 9 C 452/11). Der Vergleich und die damit verbundene Zahlung von 3.000 Euro an die Mieter schließe eine nachträgliche Bezugnahme auf die anfangs dargelegten Kündigungsgründe aus.
Wenn der Eigentümer eine Hausangestellte bzw. ein Au-Pair-Mädchen in seiner vermieteten Wohnung unterbringen will, dann ist das als berechtigtes Interesse zu bewerten. Der Betroffene hatte das Objekt erst kurz zuvor im Zuge einer Umwandlung in Wohnungseigentum erworben. Die Mieter waren deswegen der Meinung, es gelte hier die gesetzliche Sperrfrist, wonach eine Eigenbedarfskündigung erst nach Ablauf von zehn Jahren möglich sei. Der Bundesgerichtshof (Aktenzeichen VIII ZR 127/08) stellte jedoch fest, es handle sich um ein berechtigtes Kündigungsinteresse jenseits des klassischen Eigenbedarfs.
Wer unbedingt seine Wohnung selbst nutzen und den Mietern bzw. dem Gericht überzeugende Gründe für seinen Eigenbedarf darlegen will, der ist schon mal versucht, dabei deutlich zu übertreiben. Eine Eigentümerin stellte es fälschlicherweise so dar, als ob Wohnen und Arbeiten bisher nicht unter einem Dach gelegen seien und sie deswegen dringend auf eine Zusammenführung angewiesen sei. Der Bundesgerichtshof (Aktenzeichen VIII ZR 70/09) monierte das zwar als eine objektiv unrichtige Darstellung, ließ aber die Kündigung trotzdem gelten, weil der Eigenbedarf im Prinzip durchaus vorhanden gewesen sei - wenn auch nicht unter ganz so dramatischen Umständen.
Läuft eine Kündigung wegen Eigenbedarfs, dann hat der Vermieter es anzuzeigen, falls eine ihm gehörende vergleichbare Wohnung zwischenzeitlich frei wird. Sie muss dem gekündigten Mieter als Alternative angeboten werden. In jedem Falle sei das dann nötig, wenn das Objekt in derselben Wohnlage oder sogar im selben Haus liegt, entschied der Bundesgerichtshof (Aktenzeichen VIII ZR 78/10). Hier hatte die ursprüngliche Wohnung eine Größe von 45 Quadratmetern, die frei gewordene Immobilie im selben Haus war 60 Quadratmeter groß. Deswegen könne man durchaus von Vergleichbarkeit der Immobilien sprechen, hieß es im Urteil.
Wenn eine eigens dafür gegründete Gesellschaft bürgerlichen Rechts (BGB-Gesellschaft) eine Immobilie kauft, um später Wohnraum für die einzelnen Mitglieder zu schaffen, dann darf sie wegen Eigenbedarfs kündigen. Hier hatten acht Gesellschafter ein Anwesen in München erworben. Noch vor der Umwandlung in Wohneigentum kündigte die Gesellschaft den Mietern, die das nicht akzeptierten. Der Bundesgerichtshof (Aktenzeichen VIII ZR 231/08) entschied allerdings, dass hier die geltenden Schutzvorschriften nicht umgangen worden seien.
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