taz: Luchterhand Verlag bereicherte sich in NS-Zeit
Mitgesellschafter wurde aus Betrieb gedrängt
Bisher unveröffentlichte Akten zeigen Machenschaften und Kampf um Wiedergutmachung
Berlin (ots)
Der renommierte Luchterhand Verlag hat in seinen Gründungsjahren von der Unterdrückungspolitik der Nazis profitiert. Das ergaben Recherchen, die die taz in ihrer Wochenendausgabe veröffentlicht. Wie aus im Berliner Landesarchiv lagernden Akten hervorgeht, kaufte sich der Luchterhand Verlag 1939 zu einem äußerst günstigen Preis in die Druckerei Otto Heinrich Scholz ein, der von den Nationalsozialisten drangsaliert wurde.
Scholz wurde wegen seiner jüdischen Lebensgefährtin und späteren Frau von der Gestapo verfolgt sowie im Naziblatt "Stürmer" verhöhnt. Meta Scholz misshandelten die Nationalsozialisten. Nachdem das Paar nach Großbritannien ausgewandert war, leiteten die Nazis ein Ausbürgerungsverfahren ein. Luchterhand-Verlagschef Eduard Reifferscheidt und Heinz Luchterhand klagten gegen Scholz und drängten ihn so ganz aus seiner Druckerei heraus.
Bei Luchterhand haben nach dem Krieg Autoren wie Alexander Solschenizyn, Christa Wolf oder Jurek Becker veröffentlicht. Auch die "Blechtrommel" von Günter Grass erschien in dem Verlag. Der heutige Luchterhand Literaturverlag mit Sitz in München gehört zur Verlagsgruppe Random House im Bertelsmann-Konzern.
Im Berliner Landesarchiv ist das Verfahren dokumentiert, mit dem Scholz nach Kriegsende versuchte, eine Wiedergutmachung zu erreichen. Der Einstieg des Luchterhand Verlags bei Scholz sei erzwungen gewesen, stellt der "Treuhänder der Amerikanischen, Britischen und Französischen Militärregierung für zwangsübertragene Vermögen" in einem Schreiben vom 8. Juli 1950 fest. Die "Veräußerung" an Luchterhand sei "eine Entziehung" gewesen, die "auf jeden Fall" durch Zwang veranlasst worden sei, schreibt ein anderer Gutachter. Ein Gericht bestätigt die Auffassung 1955: Das Rechtsgeschäft vom 3. Mai 1939 habe sich offensichtlich "aus den genannten Verfolgungsmassnahmen ergeben".
Während des Wiedergutmachungs-Verfahrens beruft sich Scholz' Anwalt auf Zeugen, die beschreiben, wie sich Heinz Luchterhand und Verlagschef Reifferscheidt abfällig über das von den Nazis verfolgte Paar äußern. Erst am 28. August 1961, zwei Jahrzehnte nach Zerstörung von Scholz' Lebenswerk, kam es zu einem Vergleich. Scholz nahm die Rückerstattungsansprüche zurück. Dafür zahlte Luchterhand an Scholz 125.000 Mark.
Der Luchterhand Verlag hat dieses Kapitel nicht aufgearbeitet. Indes stellte sich der langjährige Verlagsschef Reifferscheidt als Nazi-Gegner dar. Er wurde von Autoren wie Günter Grass und Ernst Jandl sehr geschätzt. 1975 erhielt er das Bundesverdienstkreuz 1. Klasse, 1992 starb er.
Der Münchner Luchterhand Literaturverlag, der in der Nachfolge des Luchterhand Verlages steht, erklärte in einer ersten Reaktion auf taz-Nachfrage, man habe von den Ergebnissen dieser Recherche "heute zum ersten Mal erfahren". "Wir legen auf jeden Fall größten Wert auf die lückenlose Erforschung und Aufarbeitung der Geschichte des Luchterhand Verlags, dies gilt insbesondere und ausdrücklich auch für die Epoche der NS-Zeit. Daher messen wir Ihren Recherchen große Bedeutung bei und sind an deren genauen Ergebnissen und Quellen sehr interessiert."
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