Alle Storys
Folgen
Keine Story von taz - die tageszeitung mehr verpassen.

taz - die tageszeitung

Zu viel an die AfD gedacht: Christian Rath zur gescheiterten Verfassungsklage der Linken

Berlin (ots)

Demokratie - das ist mehr als die Herrschaft der Mehrheit. Niemand hat öfter daran erinnert als das Bundesverfassungsgericht. Demokratie erfordert auch einen lebendigen außerparlamentarischen Prozess und den offenen Schlagabtausch im Parlament. Minderheiten müssen sich offen artikulieren und die Mehrheit kontrollieren können. Die Kontrolle der Mehrheit ist aber nicht so einfach, wenn eine Große Koalition regiert, die im Bundestag achtzig Prozent der Sitze besetzt. Denn viele Minderheitenrechte können laut Grundgesetz nur Abgeordnetengruppen geltend machen, die mehr als ein Viertel der Sitze innehaben. Bei einer großen Koalition laufen solche Garantien offensichtlich leer. Daran wollte das Bundesverfassungsgericht nun aber erstaunlicherweise nichts ändern. Es postuliert zwar einen Grundsatz der "effektiven Opposition", tut dann aber nichts dafür, um die Effizienz auch einer zahlenmäßig schwachen Opposition zu sichern. Das Recht, einen Untersuchungsausschuss zu verlangen, wird von den Richtern zwar als "elementares" Oppositionsrecht bezeichnet; wenn die Opposition zu klein ist, hat sie dieses elementare Recht aber offensichtlich verwirkt. Einerseits erklärt Karlsruhe, die Opposition dürfe bei Ausübung ihrer Rechte nicht auf das "Wohlwollen der Mehrheit" angewiesen sein. Bei der Frage, ob eine schwache Opposition überhaupt Rechte hat, muss sie nach dem jetzigen Urteil aber sehr wohl auf den "Goodwill" der Großen Koalition vertrauen. Die Richter betonen doch selbst, dass die Oppositionsrechte nicht nur für die Oppositionsparteien wichtig sind, sondern für die gesamte Gesellschaft. Die Demokratie lebe von Wettbewerb und von der Kontrolle. So gesehen haben die Richter sehenden Auges ihren eigenen Prämissen widersprochen. Und warum all diese Inkonsistenz? Warum werden Maßstäbe aufgestellt, an die man sich selbst nicht einmal zu halten versucht? Haben die Richter zuviel an die AfD gedacht? Wollen sie deshalb der Mehrheit freie Hand lassen, welche Rechte sie der Opposition nach der nächsten Wahl gewährt? Das wäre tatsächlich ein Armutszeugnis für die Demokratie. Und das Verfassungsgericht hätte seine eigene Rolle als Integrationsorgan aufs Spiel gesetzt. Mit Hasenfüßigkeit und einseitiger Rechtsprechung ist der Kampf gegen die Rechtspopulisten sicher nicht zu gewinnen. Eine selbstbewusste Demokratie braucht auch ein mutiges Verfassungsgericht.

Pressekontakt:

taz - die tageszeitung
taz Redaktion
Telefon: 030 259 02-255, -251, -250
meinung@taz.de

Original-Content von: taz - die tageszeitung, übermittelt durch news aktuell

Weitere Storys: taz - die tageszeitung
Weitere Storys: taz - die tageszeitung
  • 03.05.2016 – 15:37

    Merkels falsches Signal Martin Reeh über den Umgang mit der AfD

    Berlin (ots) - Wie soll man man mit der AfD umgehen? Die Frage wird uns schon deshalb noch lange beschäftigen, weil es darauf keine einfache Antwort gibt. Sicher ist, dass zwei Motive für Reaktionen falsch sind: einfach das zu machen, was man am besten kann, oder das, wovon man sich den größten Gewinn für die eigene Gruppe erhofft. Ersteres praktiziert die Antifa, die die AfD behandelt wie zuvor die NPD, indem sie ...

  • 05.01.2016 – 10:44

    taz mit "Charlie Hebdo"-Sonderausgabe zum Jahrestag am 7. Januar 2016

    Berlin (ots) - Ein Jahr nach dem Attentat auf "Charlie Hebdo" wird die taz am Donnerstag, dem 7. Januar 2016, mit einer Sonderausgabe zum Gedenken an die Anschläge auf die französische Satirezeitschrift erscheinen. Auf zwölf Seiten werden Autoren und Zeichner grundlegende Fragen beantworten: Was darf die Satire heute? Was darf die Karikatur nach "Charlie Hebdo"? ...

  • 08.10.2013 – 12:13

    taz: taz: Boulevardmagazin "Brisant" gewinnt Nonsens-Wettbewerb der "taz"

    Berlin (ots) - Berlin, 8. Okt. (taz) - Brisanter Samba! Das ARD-Boulevardmagazin "Brisant" hat den diesjährigen Unterbring-Wettbewerb der "taz"-Satireseite Die Wahrheit gewonnen. Zur Frankfurter Buchmesse veranstaltet die Wahrheit-Seite der "taz" traditionell ihren Unterbring-Wettbewerb. Dabei muss ein Nonsenssatz in einer Publikation untergebracht werden. Passend zum ...