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TELE 5

"Ich glaube, dass wir alle versaut sind!" Anlässlich des Kinostarts von Michael Hanekes 'Funny Games U.S.' zeigt Tele 5 am 31. Mai um 00.05 Uhr das Original 'Funny Games'

München (ots)

Michael Haneke im Tele 5-Exklusiv-Interview über
Dreharbeiten in den USA, zynisches Kino und Zuschauer, die in 1000 
Stücke zerfetzt werden.
Tele 5: Warum sind Sie eigentlich Filmemacher geworden?
Michael Haneke: Das frage ich mich auch manchmal. Ich wäre lieber 
Pianist geworden, aber da hat mein Talent nicht gereicht. Gott sei 
Dank. Denn ich kenne viele Pianisten, die Mittelklasse-begabt sind. 
Das ist schrecklich. Natürlich kann jeder machen, was er will. Es 
interessiert mich nur dann nicht. Darum habe ich nie Shakespeare oder
Tschechow aufgeführt, obwohl ich 20 Jahre am Theater gearbeitet habe 
und beides für mich zum Besten gehört, was es in der dramatischen 
Literatur gibt: Weil ich mich das nicht getraut habe. Weil ich es 
unverantwortbar fand, notwendig so meilenweit hinter dem Autor 
zurückzubleiben. Diese permanente Form von Scheitern wollte ich mir 
nicht antun. Als Filmemacher fühle ich mich dem Autor Haneke 
gewachsen. Das ist eine gute Lösung. [Lacht] Wenn Sie selber die 
Drehbücher schreiben und sie verfilmen, ist die Chance, eine 
Identität zwischen Inhalt und Form zu finden, größer als in jeder 
anderen Kunst.
Es gibt den speziellen Haneke-Touch, einen Blick auf die Dinge und
die Verhältnisse. Wie würden Sie Ihre Filme im Kern charakterisieren?
Meine Position dem Kino gegenüber entstand über den Verlust der 
Illusion. Wer das Kino nicht kennt, hat nicht die Distanz, die für 
seine Erfahrung nötig ist. Und die Gefahr der Manipulation ist somit 
viel größer. Das ist das Thema. Ich erfahre es immer wieder - selbst 
bei meinen Wiener Studenten, die sich immerhin mit Film beschäftigen,
aber doch in einer ganz naiven Weise mit dem Medium umgehen.
Wie ließe sich solche Naivität aufbrechen?
Über den Schock. Filme müssen einen Nerv treffen. Je schmerzhafter
die Wunde ist, umso mehr werden sich die Leute auch dafür und dagegen
entscheiden. Und das ist es schon, was ich als Filmemacher will, denn
das ist auch das, was ich selber will, wenn ich ins Kino gehe.
Der Film, der mich in meinem Leben am meisten weiter gebracht hat, 
war seinerzeit 'Die 120 Tage von Sodom' von Pasolini. Der hat mich 
völlig fertig gemacht. Pasolini zeigte Gewalt als das, was sie 
wirklich ist: Leiden der Opfer. Das fand ich unerträglich. Das ist 
bis heute der Film, der mich am meisten aus der Bahn geworfen hat. 
Ich hab den auch nur einmal gesehen. Zuhause liegt eine DVD, aber ich
habe bis heute nicht gewagt, ihn mir noch mal anzuschauen. Damals 
habe ich mich ununterbrochen gefragt: Halte ich das noch aus? Muss 
ich jetzt kotzen? Ich war drei Wochen krank nach diesem Film. Der ist
ja unerträglich. Aber der hat mich wirklich sehr viel nachdenken 
lassen.
In einer Gesellschaft wie der unserigen kann man Kino oder 
dramatische Kunst im weitesten Sinn nur so machen. Man kann sie nicht
konsensuell machen. Dann ist man dumm. Oder feig oder zynisch.
Bei Ihrem Film FUNNY GAMES ist Ihnen 1997 ja auch von Teilen der 
Kritik vorgeworfen worden, dass Ihr Umgang mit Gewalt Selbstzweck 
sei, dass es Ihnen nur um Provokation ginge...
Ich bin überhaupt kein Provokateur! Aber mit dem Film wollte ich 
tatsächlich provozieren. Der Film sollte eine Ohrfeige sein, eine 
aufdeckende Ohrfeige. Weil mich diese Art, wie Gewalt normalerweise 
im Kino dargestellt wird, einfach ankotzt. Weil sie immer 
konsumierbar dargestellt wird. Und ich wollte sie einmal 
unkonsumierbar machen
Aber es kann ja eigentlich nicht ein gewünschter Erfolg sein, wenn
man dann als Zuschauer rausgeht...
Doch, in einem gewissen Maße. In so einem Fall schon. Es ist 
vielleicht kein Erfolg... Aber das so genannte "normale" Publikum, 
das emotional reagiert - warum müssen die sich das anschauen, obwohl 
es eigentlich widerlich ist? Nur weil es spannend ist? Ich will den 
Zuschauer zu der Frage bringen, warum er nicht rausgeht. Im 
Hollywood-Mainstream zahlt der Zuschauer dafür das Geld, dass er 
seine Aggressionen ausleben kann ohne schlechtes Gewissen. Das finde 
ich zynisch. Wir, die wir hier sitzen, sind dafür überhaupt nicht 
repräsentativ, denn wir sind Fachidioten.
Aber Filmkritiker reagieren natürlich auch emotional...
Ja klar. Ich habe gar kein Problem damit, dass Leute meine Filme 
missverstehen. Das liegt in der Natur der Sache. Es ist ja ein Thema 
von allen meinen Filmen, dass Kommunikation eine sehr beschränkte 
Sache ist.
Sind Sie Zivilisationspessimist?
Natürlich.
Warum?
Aufgrund von Beobachtung. Da muss ich gar nicht forschen. Das 
fällt ins Auge. Ich glaube in der Tat, dass wir alle versaut sind. 
Durch eine Form von Realitätswiedergabe und Illusionierung in den 
Medien, der wir nicht gewachsen sind. Und je jünger Menschen sind, 
umso weniger sind sie diesen Formen gewachsen.
Gibt es Filmemacher, denen Sie nacheifern, die Sie beeinflusst 
haben?
Inwieweit ich "beeinflusst" bin, das müssen die Kritiker 
feststellen. Ich will es gar nicht wissen. Da wird man nur steril. 
Einflüsse, sofern sie bewusst werden, lähmen einen ja. Es kostet 
Kraft, zu vermeiden, dass sie sichtbar werden. Bresson hat einmal mit
einem Stendhal-Zitat geantwortet: es sind die anderen Künste, die 
mich die Kunst des Schreibens gelehrt haben. So könnte ich es auch 
sagen. Literatur ist mir am wichtigsten. Dann kommt die Musik. Aber 
ich könnte keinen Einfluss geltend machen.
Die zwei Filmemacher, die mich am meisten beeinflusst haben, sind 
sicher Bresson auf der einen Seite, Hitchcock auf der anderen. Weil 
beide in ihrem Bereich absolute Meister sind.
Also die Reduktion und die Manipulation?
Hitchcock ist ja nur an der Oberfläche ein Manipulator. Wenn man 
genau hinschaut, ist er der Analysator der Manipulation. Einfach so 
die Leute zu manipulieren, ist ja leicht.
Aber der Thrill ist bei ihm nur ein Mittel, um die Geschichte zum 
Rollen zu bringen. Das gilt auch für meine Filme FUNNY GAMES oder 
CACHÉ. Darum gibt es dort gar keine "Lösung" am Schluss.
Ist das eine Absage an das Geschichtenerzählen?
Nein, ich muss die Geschichte als Vehikel benutzen, um etwas 
erzählen zu können. Was ich erzählen will, ist die Irritation der 
Zuschauer. Nur eine Irritation bewirkt wirklich etwas. Man will ja 
aus dem Kino nicht so rauskommen, wie man reingegangen ist - das wäre
verlorene Zeit. Aber Thriller oder andere Genrestoffe interessieren 
mich überhaupt nicht. Ich könnte am laufenden Band Thriller drehen. 
Wenn man das einmal kann, dann kann man es.
Ist es ihr Hauptziel, mit der üblichen Kino-Ästhetik zu brechen?
So kann man das sagen. Kinozuschauer sind durch die irre 
Geschwindigkeit heutiger Filme dazu verdammt, nur noch passiv zu 
reagieren, und die Wirklichkeit auf der Leinwand nur noch in 
Fragmenten wahrzunehmen. Gucken Sie sich doch bitte mal diese 
wahnwitzigen Schnitte in einem 08/15-Hollywood-Film an! Darum redet 
man ja von "Zerstreuungskino", weil die Zuschauer darin zerstreut 
werden - im wahrsten Sinn des Wortes: In tausend Stücke zerfetzt 
werden sie von den Eindrücken in ihrer Fülle. Man muss dem Zuschauer 
die Zeit zurückgeben, Zeit, die er braucht, um einen Gedanken zu 
fassen. Und die er braucht um einen Schritt zurück zu gehen, Distanz 
einzunehmen, und das Ganze zu betrachten.
Als Filmemacher kann ich nur nach Wahrhaftigkeit fragen. Ich 
bezweifle, dass ein Zuschauer durch das Betrachten eines Films der 
Wahrheit näher kommt. Ein Film ist 24mal Lüge pro Sekunde. Vielleicht
dienen diese Lügen einer höheren Wahrheit, aber längst nicht immer. 
Das gilt natürlich auch für meine eigenen Filme.
Trotzdem haben Sie sich jetzt erstmals auf einen US-Film 
eingelassen: Ein Remake Ihres zehn Jahre alten Films FUNNY GAMES. 
Warum?
Warum nicht? Der Film ist damals in den USA völlig untergegangen. 
Jetzt spielen US-Stars mit wie die Naomi Watts - eine ganz großartige
Darstellerin übrigens -, da kann er von einem amerikanischen Publikum
gesehen werden, die geht das genauso an wie Europäer. Natürlich bin 
ich nicht blöd: Ich habe vertraglich sicher gestellt, dass es auch in
diesem Fall ganz ein Haneke-Film wird. Es war meine Bedingung, 
völlige Freiheit zu bekommen. Das war hier der Fall. Im Prinzip hat 
man mir schon seit Ewigkeiten angeboten, etwas in den USA zu machen, 
aber das hat mich nie gereizt. Jetzt aber hat es mich gereizt, auch 
auszuprobieren, wie meine Art Filme zu machen, dort funktioniert.
Wie war die Erfahrung, in den USA zu drehen?
Das war schon eine sehr spezielle Erfahrung: ich hatte mir 
ausbedungen, dass sie meine Art zu arbeiten akzeptieren, dass ich 
Final Cut habe. Aber in der Praxis sieht alles etwas anders aus. Die 
Gewerkschaften, die ja eigentlich in den USA recht ohnmächtig sind, 
beeinflussen mit ihren strengen Richtlinien die ganze Arbeit. Wenn 
man als Regisseur eine Mineralwasserflasche auf einen Tisch stellen 
will, dann darf man das nicht selbst tun, es geht wie beim Spiel 
"stille Post" über 20 Stationen, bis einer das dann eine Stunde 
später macht.
In FUNNY GAMES und dessen neuen US-Remake geht es um das 
Eindringen der Katastrophe in den scheinbar sicheren Alltag einer 
bürgerlichen Familie...
Ja, meine Filme wenden sich natürlich an die Zuschauer der reichen
Länder Europas. Das ist eine ungemein verwöhnte Gesellschaft, die 
andere Gebiete der Erde ausnutzt. Diese verwöhnte Gesellschaft erlebt
nun eine Katastrophe - in einem privaten Raum ereilt sich der 
Schrecken. Natürlich nicht so, wie in einem Hollywood-Film. Hollywood
entwirklicht Schrecken und Gewalt immer. Um das Publikum in den 
Wohlstandsländern zu packen, muss ich eine offenkundig in Wohlstand 
und Bildung lebende Familie nehmen, und ihr die Sicherheit rauben. 
Nur so geht das auch für die Zuschauer. Und das ist ja die Aufgabe 
von Kino: Nicht Zerstreuung, sondern das Nehmen der Sicherheiten. Die
Zuschauer sollen sich infrage stellen. Darum zeige ich Figuren, denen
das passiert - als Stellvertreter des Publikums sozusagen. Aber 
glauben Sie jetzt nicht, ich wüsste immer die Antwort. Ich weiß 
vielleicht eine Frage. Und ich finde es viel produktiver, dem 
Publikum Fragen mitzugeben, als Antworten.
Interview: Rüdiger Suchsland
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Wir lieben Kino.
Tele 5. Der Spielfilmsender

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