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Lausitzer Rundschau: Zur Nobelpreisvergabe an Herta Müller Literatur als geistige Heimat

Cottbus (ots)

Sind Shakespeares Dramen mehr oder weniger wert
als Baudelaires Gedichte, Dostojewskis Romane, Kafkas Kurzgeschichten
oder Hemingways Erzählungen? Ist die englische, französische, 
russische, deutsche oder amerikanische Literatur die bedeutendste? 
Oder vielleicht die japanische oder indische?
Ebenso wie Literaturliebhaber solche unsinnigen Entweder-oder-Urteile
nicht fällen würden, ist die Vergabe des Literaturnobelpreises an die
rumäniendeutsche Schriftstellerin Herta Müller keine Entscheidung 
gegen andere Autoren, kein Grund auch, um nach dem Motto "Wir sind 
Literaturnobelpreisträger" in nationale Kultur-euphorie zu verfallen.
Nächstes Jahr kommt ein anderer an die Reihe. Nach welchen Kriterien 
die Schwedische Akademie den Gewinner des weltweit bedeutendsten 
Literaturpreises jeweils kürt, bleibt ein Geheimnis.
Dass die Wahl nach Günter Grass (1999) und Elfriede Jelinek (2004) 
überraschenderweise innerhalb Kurzem erneut eine deutschsprachige 
Autorin getroffen hat, darf dennoch als Bestätigung verstanden 
werden: Unser Kulturraum bringt eine Fülle herausragender Literatur 
hervor. Zugleich passt die Entscheidung gut in die Zeit des 
Mauerfallgedenkens.
Herta Müller, 1953 in Rumänien geboren und 1987 nach Westdeutschland 
übergesiedelt, hat wiederholt den Alltag in der Ceausescu-Diktatur 
beschrieben, ihr aktueller Roman "Atemschaukel" handelt vom Schicksal
in die Sowjetunion deportierter Rumäniendeutscher.
Gleichwohl wurde die Schriftstellerin nicht etwa als 
Vergangenheitsbewältigerin des Ostblocks geehrt. In der Begründung 
heißt es, Herta Müller erschaffe "Landschaften der Heimatlosigkeit". 
Damit spricht die Akademie etwas an, das - gleichgültig, in welchem 
politischen System - als Grunderfahrung der Moderne gilt: das Gefühl 
der Heimatlosigkeit, weil die materielle und geistige 
Lebenswirklichkeit sich immer rasanter verändert und das Bewusstsein 
von Sinnhaftigkeit dabei verlorengeht. Herta Müller fängt dieses 
Gefühl in ihren Büchern auf und gibt ihren Lesern zumindest im 
Literarischen eine Heimat.

Pressekontakt:

Lausitzer Rundschau

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