Lausitzer Rundschau: Vor der Afghanistan-Konferenz in London
Bohrende Fragen
Cottbus (ots)
Das düstere Szenario eines Scheiterns in Afghanistan ist seit Monaten allgegenwärtig und nicht unrealistisch. Die Angriffe der Taliban werden dreister und blutiger. Und in Deutschland werden die bohrenden Fragen immer lauter: Wie lange soll dieser Einsatz noch dauern? Können die Taliban überhaupt besiegt werden? Und was soll eigentlich erreicht werden, nachdem praktisch schon seit Jahren klar ist, dass im Land am Hindukusch - wie ganz am Anfang blauäugig angenommen - keine Demokratie westlicher Prägung installiert werden kann? Was in den vergangenen Wochen dazu von den deutschen Parteien kam, war eher dünn. Im Mittelpunkt der Diskussion stand stattdessen der Luftangriff der Bundeswehr bei Kundus mit vielen zivilen Opfern. Sicher, dieser Fall muss lückenlos aufgeklärt werden - wenngleich der holprige Start des Untersuchungsausschusses vergangene Woche in dieser Beziehung nichts Gutes verhieß. Aber mindestens genauso wichtig wäre es gewesen, längst öffentlich über konkrete Strategien zu beraten, zu streiten - und zwar intensiv parteiübergreifend. Denn SPD und Grüne, in deren Regierungszeit der Afghanistan-Einsatz begann, sind mindestens ebenso in der Verantwortung wie die regierende schwarz-gelbe Koalition. Aber es kam nichts Handfestes, Belastbares, kein Aufeinanderzugehen, nur wiederkehrender Standpunkt-Austausch. Erst jetzt - unmittelbar vor der Afghanistan-Konferenz in London - scheint bei den Parteien hektische Betriebsamkeit auszubrechen. Da tagen die Führunggremien, werden diverse Experten hinzugezogen. Zahlen zur Truppenaufstockung geistern durch die Medien. Verteidigungs- sowie Außenminister machen endlich wenigstens erste Strategieansätze öffentlich. Welchen Weg die Koalition genau einschlagen wird, will sie aber erst nach der Londoner Konferenz beschließen, sagt Kanzlerin Angela Merkel. Was ja nachzuvollziehen ist. Denn eine Wende am Hindukusch ist, wenn überhaupt, nur durch einen klug überdachten Kraftakt aller Verbündeter möglich. Zuvor aber sollten die Teilnehmer des Gipfels so mutig sein und sich öffentlich eingestehen, in welchen Bereichen bei der Mission die größten Fehler gemacht worden sind. Erst auf dieser Basis lässt sich eine neue Strategie entwickeln. Dasselbe sollte sich die Bundesregierung zu Herzen nehmen und sich anstrengen, ehrliche Antworten auf die bohrenden Fragen zu geben. Nur wenn sie die Sorgen der Deutschen ernst nimmt, wird es möglich sein, eine Mehrheit der Menschen zu überzeugen, dass ein rascher Rückzug Afghanistan ins Chaos stürzen und Terror-Netzwerke stärken würde. Jetzt aufzugeben, wäre unmoralisch.
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