Lausitzer Rundschau: Zur Gift-Katastrophe in Ungarn
Cottbus (ots)
Die Bewohner der ungarischen Unglücksregion nennen den Giftschlamm-Gau nordwestlich des Plattensees"Unser Tschernobyl". Und tatsächlich erinnern die Bilder von den Katastrophenhelfern in ihren Atemmasken und Schutzanzügen an die hilflosen Gestalten, die im Jahr 1986 die Straßen von Kiew vom radioaktiven Staub zu reinigen versuchten. Keine Frage: Die Unglücksfälle sind in ihrem Ausmaß in keiner Weise zu vergleichen. Und doch lösen die Bilder bei westlichen Zuschauern einen Reflex aus. Der Generalverdacht ließe sich auf die These verkürzen: "Osteuropa ist für jeden Gau gut." Nun ist keineswegs zu bestreiten, dass die Umweltsituation in großen Teilen des ehemaligen Ostblocks alles andere als befriedigend ist. Die polnische Weichsel etwa und der Unterlauf der Donau gehören nicht von ungefähr zu den großen Öko-Sorgenkindern des Kontinents. Und selbstverständlich ist es skandalös, dass Industrieabfälle wie der Bauxitschlamm im ungarischen Ajka schlecht gesichert unter freiem Himmel deponiert werden dürfen. Hinzu kommt, dass sich viele nach der Wende privatisierte osteuropäische Unternehmen einen Dreck um ihren Dreck scheren. Meist siegt die Profitgier. Doch wir, die wir im Glashaus sitzen, sollten nicht allzu schnell zur Steinschleuder greifen. Das marktwirtschaftliche Prinzip der Gewinnmaximierung hat der Westen in den Osten exportiert. Und dass die britische BP vor der US-Küste ein dilettantisch gesichertes Bohrloch betreiben durfte, trägt auch nicht gerade Vorbildcharakter. Die Ölpest im Golf von Mexiko stellt die Schlammkatastrophe in Ungarn weit in den Schatten. Schließlich: Es waren allem Anschein nach auch die niedrigen EU-Sicherheitsstandards für die Abfallentsorgung, die das Desaster am Plattensee mit möglich gemacht haben. Wer einen nüchternen Blick auf das östliche Europa richtet, wird erkennen, dass nach 1989 im Umweltbereich viel erreicht worden ist. Über Städten wie Breslau oder Bratislava hing vor 20 Jahren eine undurchdringliche Smog-Glocke. Dort lässt sich seit Langem wieder frei atmen. Allerdings bleibt viel zu tun. Diese Aufgabe können West und Ost jedoch nur gemeinsam bewältigen. Reflexartig "die Osteuropäer" anzuprangern, hilft niemandem.
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