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Lausitzer Rundschau: Gesellschaft der Gegensätze Zur Explosion der Gewalt in Großbritanniens Städten

Cottbus (ots)

Rassenkonflikt? Aufstand der Entrechteten? Oder doch nur kriminelle Randale? Man ist mit eingängigen Überschriften schnell bei der Hand, angesichts dessen, was sich gerade in britischen Großstädten abspielt. Aber so ganz passen will keine von ihnen für den Flächenbrand, der sich am Tod des 29-jährigen Mark Duggan im Londoner Problemviertel Tottenham entzündet hat. Duggan war ein Farbiger, der Aufruhr aber ist - im schlechtesten Sinne - multikulturell. Tottenham gehört zu den ärmsten Gegenden Großbritanniens. Aber was sich dort und anderswo derzeit abspielt, hat nichts mit einer sozialen Protestbewegung zu tun, die ihr Recht auf Teilhabe an der Gesellschaft einfordert. Sondern eher mit blinder Zerstörungswut, fehlgeleiteter Abenteuerlust und, nicht zuletzt, der Gelegenheit des Moments, sich bei Plünderungen Dinge anzueignen, an die man zu anderen Zeiten und auf legalem Wege nur schwer herankommen würde. Ein derartiges Ausmaß individueller krimineller Energie aber entsteht nicht im luftleeren Raum, es hat seine Ursache - natürlich - in bestehenden sozialen Verhältnissen. Die britische Gesellschaft ist eine Gesellschaft der Gegensätze. Auf dem Land findet sich noch immer vielerorts das friedliche Idyll, dem der Oxford-Professor J. R. R. Tolkien im "Herrn der Ringe" das Auenland nachgebildet hat. Demgegenüber steht die Härte der Städte - an erster Stelle die der Megametropole London, wo in der City, dem Finanzviertel, Milliarden umgesetzt werden, während in manchem Vorort bittere Armut herrscht. Verschärft wird dieser Gegensatz dadurch, dass in Großbritannien die soziale Durchlässigkeit von unten nach oben noch immer extrem gering ausgeprägt ist: An den Elite-Universitäten in Cambridge und Oxford tummeln sich Töchter und Söhne früherer Absolventen. Wer dagegen in ein schwieriges Milieu hineingeboren ist, hat kaum Chancen, dort jemals herauszukommen. So entsteht eine urbane Schicht Jugendlicher, die offenbar meint, nicht viel zu verlieren zu haben, und Bestätigung jenseits der Gesellschaft sucht und findet. In kriminellen Sub-Gesellschaften, die ihnen zugleich eine problematische Form der Anerkennung wie den Zugriff auf sonst unerreichbare Güter sichern. Ähnliche Prozesse laufen auch in anderen europäischen Städten ab und finden, so lange sie weitestgehend auf ihr Milieu beschränkt bleiben, in der breiten Öffentlichkeit nur periodisch Beachtung. Ihr Ausmaß wird erst deutlich, wenn - bedingt durch ein singuläres Ereignis wie das von Tottenham - plötzlich an die Oberfläche kommt, was sonst im Verborgenen geschieht. Dem Aufruhr mag man mit massiver Polizeigewalt Herr werden. Um die zugrunde liegenden Fehlentwicklungen in den Griff zu bekommen, bräuchte es nicht weniger als einen Umbau der britischen Gesellschaft. Dass ausgerechnet der konservative Premier David Cameron dafür der richtige Mann ist, muss bezweifelt werden.

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