Lausitzer Rundschau: Zehn Jahre Afghanistan-Krieg
Gescheiterter Staat
Cottbus (ots)
Im zehnjährigen Krieg gegen die Taliban, der am 7. Oktober 2001 mit amerikanischen und britischen Bombenangriffen begann, sind nach und nach die Ziele verloren gegangen. Um Rache und Terrorabwehr ging es anfangs, dann aber, nach dem Sturz der Taliban, sehr schnell um "nation building", das Schaffen einer Nation auf den Ruinen von Terror und Krieg. Möglichst demokratisch, möglichst frei, möglichst sicher. Die Petersberger Konferenz Ende 2001, die Stammesversammlung Loja Dschirga 2002, die ersten Wahlen 2005 - all das wirkte wie ein Blitzsieg der Demokratie. Davon war auch Deutschland angetan. Es war ein rot-grüner Traum und zugleich die Rechtfertigung für die Entsendung deutscher Soldaten - und für das Sterben von 49 von ihnen. Kanzler Gerhard Schröder besuchte stolz und frohlockend eine Mädchenschule in der Hauptstadt Kabul. Heute sitzen die westlichen Soldaten eingeigelt in ihren Basen, ständig bedroht von Angriffen aus dem Hinterhalt. Inzwischen redet niemand mehr von den afghanischen Mädchen. Und auch nicht mehr von Demokratie. Selbst eine Machtteilung mit den Taliban scheint nicht mehr in Reichweite, seit die Radikal-Islamisten gleich ihre ersten Gesprächspartner in die Luft jagten. Es seien, sagte Verteidigungsminister Thomas de Maizière kürzlich, wohl zu hohe Erwartungen geweckt worden. De Maizière kann am wenigsten dafür, er ist erst seit Kurzem Minister und hat jetzt nur noch die Aufgabe, einen Abzug zu organisieren, der de facto schmachvoll ist, aber nicht so wirken darf. Das ist das letzte verbliebene Minimalziel neben dem, dass Al Qaida keine neuen Terrorcamps in Afghanistan aufbauen können soll. Die Fehler wurden gleich am Anfang gemacht. Man ließ es zu, dass sich die Taliban in die Stammesregionen Pakistans zurückziehen und dort neu aufstellen konnten, weil man militärisch halbherzig zu Werke ging. Und eine Pakistan-Strategie gab es nicht. In Deutschland wurde die Mission den Bürgern als eine Art Brunnenbau mit Polizeischutz verkauft. Das Wort Krieg war tabu. Beim zivilen Aufbau gelang es nicht, stabile politische Strukturen zu schaffen. Man konzentrierte sich auf die Etablierung einer Zentralregierung, die aber korrupt und schwach ist. Und man gab zu wenig Geld für zu wenige Infrastrukturprojekte. Auch hier die gleichen Fehler: Keine Strategie, halbherziger Mitteleinsatz, fehlende Entschlossenheit und mangelnde Koordinierung bei der Umsetzung. Im Ergebnis ist der Westen in Afghanistan im Kreis gelaufen wie ein orientierungsloser Wanderer in der Wüste. Anfangs war man blind, weil der 11. September zu schneller Aktion trieb. Dann war man blind vor Euphorie über die ersten Erfolge. Schließlich versuchte man nur noch irgendwie, die lange Durststrecke des zermürbenden Guerilla-Krieges mit den Taliban durchzuhalten. Jetzt ist die internationale Staatengemeinschaft fast wieder dort angelangt, wo sie vor zehn Jahren begann. Bei gezielten Luftangriffen, neuerdings mit Drohnen, die die Taliban in Schach halten sollen. Am Boden müssen ab 2014 die Afghanen selbst den Rest erledigen, wie schon vor zehn Jahren die Nordallianz. Ob sie es schaffen oder nicht, ist völlig ungewiss. Wenn nicht, dann wird auch Afghanistan ein "failed state" sein, ein gescheiterter Staat, den von Somalia nur die westliche Lufthoheit unterscheidet. Das wäre ein sehr mageres und sehr bitteres Ergebnis dieses Krieges.
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