Lausitzer Rundschau: Merkels Blessuren Die Kanzlerin und die Gauck-Kür
Cottbus (ots)
Bereits zum dritten Mal in ihrer Amtszeit als Kanzlerin hat Angela Merkel die Fäden für die Kür eines Präsidentschaftskandidaten in der Hand gehabt. Und im Gegensatz zu den ersten beiden Gelegenheiten sind sie ihr diesmal offenkundig entglitten. Joachim Gauck wird das nächste deutsche Staatsoberhaupt - gegen den Willen der CDU-Chefin. Nun steht Merkel als große Verliererin da. Aber ist sie das wirklich? Um diese Frage zu beantworten, sollte man das andere Szenario zu Ende denken: Was, wenn sie nicht umgefallen wäre? Deutschland hätte dann seit dem Wochenende keine Regierung mehr. Dass die FDP tatsächlich so hoch pokern würde, stand nicht einmal bei Merkel auf dem Zettel. Hinzu kommt, dass die Kanzlerin den Koalitionsbruch hätte riskieren müssen, um einen Kandidaten zu verhindern, der sich in der Bevölkerung breiter Beliebtheit erfreut. Der Kosten-Nutzen-Effekt wäre für Merkel klar negativ gewesen. In dieser Gemengelage hat sie aus der Niederlage noch das Beste gemacht. Ihren großen Rückhalt in der Wählergunst stützt Merkel nicht auf furiose Reden. Merkels Vorzüge sind Bescheidenheit und Verlässlichkeit. Obwohl die Kanzlerin wie kaum ein anderer Regierungschef vor ihr die Meinung gewechselt hat - angefangen von der Atomkraft über die Wehrpflicht bis zum Mindestlohn - fühlen sich die meisten Deutschen bei ihr gut aufgehoben. Vor allem fühlen sie sich gut durch die Krise geführt. Man stelle sich deshalb nur einmal vor, Deutschland müsste jetzt zu Neuwahlen rüsten - wo der Euro auf der Kippe steht, wo Europa politisch und wirtschaftlich auseinanderzubrechen droht. Im Vergleich dazu ist der Zwist um die Präsidentschaftskandidatur lächerlich. Die Deutschen hätten es Merkel wohl nie verziehen, wenn sie das Land durch politische Selbstbeschäftigung gelähmt hätte, nur um ihr eigenes Süppchen zu kochen. Scheitert der Euro, dann scheitert Europa, war von Merkel oft genug zu hören. Das klingt wie eine Mission, die sie unbedingt meistern will. Wohl auch deshalb hat sie zum Schluss nachgegeben - und ist die Klügere geblieben. In ihrer Koalition hat Merkel gleichwohl einen Scherbenhaufen angerichtet, den zu beseitigen, nur schwer möglich sein dürfte. Der Versuch nämlich, an der FDP vorbei gemeinsame Sache mit den Sozialdemokraten für eine anderen Kandidaten zu machen, endete im Fiasko. Dabei gab es keinen gewichtigen Grund, um Gauck von einer Kandidatur fern zu halten. Denn dass Merkel ihren größten Fehler beging, als sie vor zwei Jahren mit Christian Wulff auf den falschen Mann setzte, stand schon seit Monaten fest. Mit jeder neuen Affäre Wulffs wurde dieser Befund erhärtet. Vielleicht deshalb hat Merkel zum ersten Mal in ihrer Amtszeit Emotionen gezeigt - und so an Stärke verloren.
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