Pressestimmen: Silvio Berlusconi und die Moral
Cottbus (ots)
Es kam, wie es kommen musste. Italiens Ministerpräsident hatte einen Ruf zu verlieren, als er vorgestern seine EU-Ratspräsidentschaft mit einer Rede im Europäischen Parlament eröffnete. Er hat die Klippe bravurös gemeistert und ist sich treu geblieben. Der Mann für grobe Worte und der dünnen Haut wollte das Theater, das um seine Person veranstaltet wird, nicht ohne eine Gegenattacke hinnehmen, die wiederum alle Vorurteile zu bestätigen scheint. Hat er doch einen deutschen Sozialdemokraten allzu deutlich mit der Nazi- Vergangenheit unseres Landes abgekanzelt. Jetzt sind wir alle empört - vom Bundeskanzler angefangen, der eine klare Entschuldigung fordert. Und wenn dieser Zirkus noch ein paar Runden weiter dreht, wird tatsächlich das deutsch- italienische Verhältnis wieder um ein paar schmerzliche Erfahrungen reicher. Nun könnte man erwarten, dass insbesondere die Politiker, die die Toskana als Wahlheimat schätzen gelernt haben, etwas von italienischer Politik verstehen. Dann würden sie sich vielleicht daran erinnern, was wir sonst schon alles überlebt haben an dubiosen Erscheinungen am Tiber. Und nicht immer watete da nur der eine Teil des politischen Spektrums im Sumpf. Da gab es einmal einen sozialistischen Regierungschef Bettino Craxi, der geradezu ein Musterbeispiel für Käuflichkeit abgeben könnte. Die italienische Demokratie hat ihn genauso überlebt wie sie Berlusconi überleben wird. Der Skandal ist nun mal eng verwandt mit der Macht. Dies gilt aber nicht nur für Italien. Die seltsamen Geschäfte des früheren französischen Präsidenten Mitterand füllen heute Bücher und auch wir hatten mal einen Bundeskanzler, der ganz eigene Vorstellungen vom rechten Umgang mit Parteifinanzen entwickelte. Man kann und soll Silvio Berlusconi widersprechen, wenn er alte Vorurteile missbraucht und deutsche Abgeordnete kurzerhand in SS- Uniformen steckt. Aber man sollte dabei aufpassen, dass am Ende nicht gleichermaßen Vorurteile aktiviert werden. Eine Tragödie sind die Ausfälle von Italiens starkem Mann wahrlich nicht und etwas weniger Aufregung darüber wäre ein Zeichen gelassener Stärke. Denn uns bleibt gar nichts anderes übrig, als darauf zu vertrauen, dass am Ende die Italiener in all ihrer Weisheit selbst entscheiden, wer in Rom regiert. Wir würden uns schließlich auch von niemandem sagen lassen, wie wir uns besser nicht blamieren.
ots-Originaltext: Lausitzer Rundschau
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