Lausitzer Rundschau: Der Streit um den Erzbischof von Warschau: Der Lüge langer Schatten
Cottbus (ots)
Jetzt hat die Stasi-Debatte auch den Vatikan erreicht. In Polen ausgerechnet, aber auch aus gutem Grund scheitert der deutsche Papst mit seinem allzu vertrauensseligen Versuch, die Vergangenheit ruhen zu lassen. Das ist gut so, denn auf den so wichtigen Erzbischofstuhl in Warschau gehört keiner, der zwei Herren diente. Für Benedikt XVI. ist dies eine harte Lektion, für die katholische Kirche insgesamt die heilsame Lehre, dass auch sie nicht über den Konflikten steht, die die Gesellschaft bestimmen. Denn der Streit um den Bischof Stanislaw Wielgus ist mehr als eine innerkirchliche Angelegenheit. Polen hat sich schwergetan im Umgang mit der kommunistischen Vergangenheit. Nach den bitteren Jahren des Kriegsrechts wurde der Abschied vom brüchig gewordenen Machtmonopol der Kommunisten Schritt für Schritt ausgehandelt. Teil dieses allmählichen Übergangs war es, Sünden der Vergangenheit ruhen zu lassen. Ein Umgang mit Geheimpolizei-Akten wie im Nachbarland Deutschland war undenkbar. Aber es hat sich auch an der Weichsel gezeigt, dass die nationale Versöhnung nicht gelingt, wenn dabei die Wahrheit auf der Strecke bleibt. Die derzeitigen politischen Hakenschläge der immer wieder aufs Neue zusammengestrickten Regierungsmehrheit sind nur erklärlich vor dem Hintergrund dieses gescheiterten Versuchs der heilenden Vergesslichkeit. Denn mit ihm vergiftete das Misstrauen die politische Debatte. Und er ebnete den wütenden Korruptions- und Verschwörungsvorwürfen der heute regierenden Gebrüder Kaczynski den Weg. Die Vorgänge in Warschau sind auch nicht eine ausschließlich innerpolnische Angelegenheit. Auch beim Blick zurück auf die Jahre, in denen hierzulande die SED regierte, fehlt allzu oft das Nachdenken darüber, was dabei angerichtet wurde in den Köpfen und Herzen der Menschen. Der wirtschaftliche Niedergang der DDR, ihr unerträglicher Umgang mit der Natur, ihre lähmenden Eingriffe in die Kunst - das alles lässt sich heute leicht beschreiben und teils sogar bemessen. Aber mehr als alles andere war die Herrschaft der SED ein Regime der Lüge. Die Unwahrheit, die beim Zurechtbiegen der Planzahlen und Wahlergebnisse begann und bei der mit aller staatlichen Macht betriebenen Diffamierung und Verurteilung von Menschen endete, war eines der wichtigsten Herrschaftsinstrumente. Zu dieser Herrschaft der Unwahrheit gehörte die Geheimpolizei und der Spitzel - eben weil die Wahrheit ein Geheimnis war. Der schamhafte Blick zurück auf die Lüge ist allerdings nicht nur im Osten Deutschlands und Europas eine Notwendigkeit, wie auch der Fall des Günther Grass zeigt. Da tröstet es dann sogar, wenn die älteste aller Institutionen unseres Kontinents dieser Wahrheit ebenfalls nicht entfliehen kann.
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