Lausitzer Rundschau: Oettingers Trauerrede für Filbinger: Was damals rechtens war. . .
Cottbus (ots)
Hans Filbinger ein Landesvater im besten Sinn, wie ihn der baden-württembergische Ministerpräsident Günther Oettinger nannte? Oder war er, wie es der Schriftsteller Rolf Hochhuth vor fast 30 Jahren formulierte, ein sadistischer Nazi? Die Frage hatte damals, Ende der 70er-Jahre, in der Bundesrepublik zu einer heißen Debatte geführt, die auch von der DDR ausgeschlachtet wurde. Filbingers Satz: Was damals rechtens war, kann heute nicht Unrecht sein sorgte für Diskussionsstoff in West und Ost und führte letzten Endes zu Filbingers Rücktritt als Ministerpräsident. Filbinger glaubte noch bis zum Kriegsende als Marine-Richter in britischer Gefangenschaft im Sinne seines Führers Recht sprechen zu müssen und beteiligte sich so an Todesurteilen an desertierten deutschen Soldaten. Die Frage nach eigener Schuld, nach Standpunkt und nach Moral stellte Filbinger später nicht. Und - was schwerer wiegt - er wurde auch lange Zeit nicht danach befragt. So waren Männer wie er schnell wieder ganz oben. Der Trauerrede Günther Oettingers für Filbinger fehlte jeder kritische Abstand. Er muss sich nun den Vorwurf gefallen lassen, nach Wählern am rechten Rand zu fischen. Die Rede wirft aber auch heute, mehr als 60 Jahre nach Kriegsende, ein Schlaglicht auf die unbewältigte Geschichte der Nachkriegs-Bundesrepublik. Während die DDR den Antifaschismus plakativ für sich pachtete, galt es im Westen bis in die kritischen 60er-Jahre hinein als normal, wenn aus ehemaligen NSDAP-Mitgliedern Lehrer, Richter und Politiker wurden. Dass sich viele von ihnen in einem geräuschlosen Prozess über Jahre hinweg nicht zuletzt unter dem Eindruck wachsenden Wohlstands zu glaubhaften Demokraten entwickelten, sei dahingestellt. Eine offizielle Institution, ähnlich der Gauck-Birthler-Behörde, die Systemverstrickungen, Schuld oder Mitschuld Einzelner untersucht, bewertet und somit manche AltnaziKarriere verhindert hätte, wollte sich die junge Bundesrepublik nicht leisten. An Arbeit hätte es ihr nicht gemangelt.
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