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London 2012: Sporthilfe-Experten-Ausblick mit Schwimm-Olympiasieger Michael Gross

Frankfurt am Main (ots)

   London 2012: Sporthilfe-Experten-Ausblick für Samstag, 28.07.2012

Schwimmen mit Paul Biedermann

Olympiasieger Michael Gross zu den letzten Stunden vor dem Auftakt

Nicht verrückt machen lassen

Das Schlimmste, was man in den letzten 24 Stunden vor dem Start machen kann, ist auf dem Zimmer im Olympischen Dorf rumzuhängen. Man muss sich entspannen, ablenken, mit einem Buch, im Dorf oder auch vor dem Fernseher, mit anderen zusammen. Die Schwimmer können ja wegen ihres Zeitplans praktisch nie zur Eröffnungsfeier gehen, deshalb trifft man sich und schaut gemeinsam die Übertragung.

Ich habe diese Vorstartphase immer empfunden wie vor einer Prüfung, die Vorbereitung ist gelaufen, man kann nichts mehr drehen, nichts mehr verbessern, allenfalls noch verschlechtern, wenn man sich verrückt machen lässt. Das gilt erst recht für einen exponierten Athleten wie Paul Biedermann, der sich ja eine Medaille als Ziel gesetzt hat. Er muss sich auf sich konzentrieren und darf nicht über die Gegner spekulieren. Man kann sich im Vorhinein keinen Plan zurechtlegen. Im Schwimmen kann man sich, anders als in anderen Sportarten, erst im Rennverlauf und während der Vorläufe auf die Konkurrenten einstellen. Man sieht, wie alle drauf sind, dann muss man seine Renntaktik anpassen. Dann kommt einem die Erfahrung zugute.

OIympische Spiele unterscheiden sich von anderen Meisterschaften: Am Ende zählt das Ergebnis, die Platzierung, weniger die Zeit. Olympiasieger bleibst du ein Leben lang, ein Weltmeistertitel vergeht. Deshalb willst du gewinnen. Ich bin gespannt wie Paul Biedermann und die anderen deutschen Schwimmer an ihre "Prüfung" herangehen.

Ich habe das ganz extrem in Los Angeles 1984 erlebt, die größten Höhen und die größten Tiefen innerhalb weniger Stunden. Ich wurde zweimal Olympiasieger (200 Meter Freistil und 100 Meter Schmetterling), immer mit Weltrekord. Doch die größte Niederlage über 4x200 Meter Freistil folgte: Wir blieben über vier Sekunden unter unserem Weltrekord - aber wir waren auch vier Hundertstel langsamer als die USA.

Ich habe immer das Glück gehabt, dass ich mich weder von Siegen noch von Niederlagen aus der Bahn habe werfen lassen. Dabei haben mir Eltern und Trainer, Schule und Studium geholfen. Wichtig ist, dass man versteht und nachvollzieht, was bei einem Misserfolg passiert ist und daraus Chancen für eine persönliche Verbesserung ableitet. Gewinnen ohne Fehler ist selten. Wenn sich ein junger Athlet das ausschließliche Ziel setzt, Weltmeister oder Olympiasieger zu werden, wird die Möglichkeit auf eine Utopie reduziert. Und sollte das Ziel tatsächlich erreicht werden, stellt sich schnell die nächste Frage: Was kommt danach? Wenn ich mir von vornherein mehrere Ziele stecke, habe ich mehr Chancen, und es bieten sich zugleich mehrere Herausforderungen. Nur schwimmen zu können, war für mich nicht vorstellbar. Ich wollte studieren und nicht mehr als vielleicht eine Handvoll Sponsorentermine wahrnehmen. Hätte ich mich damals nur für das Schwimmen entschieden, wären mir viele Möglichkeiten, die sich mir bis heute bieten und nicht nur angenehm sind, verborgen geblieben.

Natürlich muss man vor London auch über Michael Phelps reden, nach achtfachem Gold in Peking. Er kann am Samstag über 400 Meter Lagen der erste Schwimmer werden, der drei Olympia-Siege in Serie auf der gleichen Strecke schafft. Er kann den olympischen Medaillenrekord der russischen Turnerin Larissa Latynina übertreffen - wenn er seinen bisher 16 noch drei Medaillen dazufügt. An diesem Monument muss erst mal jemand vorbeikommen.

Ich werde mit meiner Familie in London sein. Es waren meine Kinder, die gesagt haben, dass sie gerne zu den Olympischen Spielen fahren wollen. Und das machen wir jetzt auch.

Ihr Michael Gross _____________________________________________________________________

Dr. Michael Gross (* 17. Juni 1964 in Frankfurt am Main) ist dreifacher Olympiasieger (1984 und 1988), fünffacher Weltmeister und stellte 12 Weltrekorde auf, vier Mal wurde er zum "Sportler des Jahres" gewählt. Er studierte parallel zur Sportkarriere Germanistik, Politik- und Medienwissenschaften und promovierte 1994. Aufgrund seiner Körpergröße von 2.01 Metern konnte er sich seinen Berufswunsch Pilot nicht erfüllen. Heute ist er Inhaber von Groß & Cie., einer Beratungsgesellschaft für Change Management und Talent Management. Er ist zudem Lehrbeauftragter an der "Frankfurt School of Finance & Management". Seit langem glücklich verheiratet, ist er Vater zweier Kinder.

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