Berliner Morgenpost: Für Afghanistan gibt es keine schnelle Lösung - Leitartikel
Berlin (ots)
Die Erschütterung ist groß: Bei einem von der Bundeswehr angeforderten Nato-Luftangriff sind am Freitag mindestens 57 Menschen in Afghanistan ums Leben gekommen. Darunter wahrscheinlich etliche Zivilisten. Noch ist das nicht ganz klar, Bundeswehr und Bundesverteidigungsministerium sagten gestern erneut, es seien ausschließlich Aufständische, also Taliban, getötet worden. US-General Stanley McChrystal, der oberste Nato-Kommandeur, sprach dagegen auch von zivilen Opfern. Das ist, wenn es sich bewahrheitet, schrecklich, aber in einer solchen Auseinandersetzung zwischen Nato-Truppen und Taliban leider nicht auszuschließen. Angesichts der hohen Opferzahl gab es in den vergangenen zwei Tagen viel Kritik an der Bundeswehr. Hat sie den Luftangriff fahrlässig angefordert? Wurden die zivilen Opfer einkalkuliert? Ging von den Taliban, die zwei Tanklaster gekapert hatten, gar keine unmittelbare Gefahr aus? Bevor jetzt vorschnell Schuld zugewiesen wird, sollten die Ergebnisse der eingeleiteten Untersuchungen abgewartet werden. Eins jedenfalls ist klar: Mit diesem Angriff ist das Thema Afghanistan auch im bundesweiten Wahlkampf angekommen. Außer der Linkspartei ("Raus aus Afghanistan!") haben die anderen Parteien von sich aus den schwierigen Einsatz im Land am Hindukusch bislang nicht thematisiert. Das wird, das muss sich nun ändern. Und ein jeder Politiker ist gut beraten, auf die einfachen, die schnellen Antworten zu verzichten. Wie man es nicht macht, hat gestern Altkanzler Gerhard Schröder (SPD) gezeigt. Bei einem Auftritt in Niedersachsen sagte er, man brauche ein Datum für den Rückzug der Truppen aus Afghanistan. Und nannte es sofort: 2015 müsse Schluss sein mit dem internationalen Engagement, ab dann müsse Afghanistan sich wieder um sich selbst kümmern. Das ist, mit Verlaub, purer Populismus. Diejenigen, die die Lage in Afghanistan kennen, vermeiden es tunlichst, ein konkretes Datum zu nennen. Dazu gehört auch - Schröder sei daran erinnert - der SPD-Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier. Und er lehnt es ausdrücklich ab, ein Datum für den Abzug der Nato-Truppen zu nennen. Wenn es nämlich einen solchen festen Termin gäbe, dann wüssten die Taliban, wie lange sie überwintern müssten, um anschließend die Macht wieder zurückzuerobern. Es wäre ein verheerendes Signal. Deutschland tut gut daran, die Strategie der USA zu unterstützen, die neben dem Kampf gegen die Taliban auch die Stärkung der Zivilgesellschaft vorsieht. Schritt für Schritt sollen die Afghanen die Verantwortung für ihr Land wieder übernehmen. Dazu gehören freie Wahlen, dazu gehören eine gut ausgebildete Polizei und Armee, dazu gehört ein stabiles öffentliches Bildungssystem. Das dauert, denn die Taliban haben ihren Kampf noch nicht aufgegeben. Wer jetzt also sagt, in sechs Jahren sind unsere Soldaten wieder zuhause, der verspricht etwas, was er im Zweifelsfall nicht halten kann. Das würde noch mehr Schaden anrichten.
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