Berliner Morgenpost: Es geht um mehr als den Luftschlag von Kundus - Leitartikel
Berlin (ots)
Während deutsche Soldaten im nördlichen Afghanistan von Taliban- Kämpfern in heftige Gefechte verwickelt waren und dabei ein Bundeswehrangehöriger schwer verwundet wurde, konstituierte sich im fernen friedlichen Berlin der lang erwartete Untersuchungsausschuss. Auftrag: erstens Aufklärung aller Umstände des Luftangriffs von Kundus und zweitens, welche Rolle fällt den damals und heute verantwortlichen Politikern und Militärs bei der insgesamt desaströsen Kommunikation nach innen wie nach außen über den Luftschlag zu? Es wird höchste Zeit, dass der Ausschuss mit der Arbeit beginnt. Die ganze Wahrheit muss endlich auf den Tisch. Was in den vergangenen Wochen durch Indiskretionen, Bruch von Dienstgeheimnissen, Durchstechereien oder schlichten Behauptungen nach jeweiliger Interessenlage zu dem bislang folgenschwersten Militärschlag unter deutscher Verantwortung nach dem Zweiten Weltkrieg in die Öffentlichkeit transportiert wurde, hat die ganze Brisanz des Militärschlags erst ans Tageslicht gefördert. Zur sachlichen Aufklärung hat das alles allerdings bislang wenig beigetragen. Letztere ist für die politisch Verantwortlichen ebenso bitter nötig wie für die Soldaten im Einsatz. Natürlich können aus militärtaktischen wie bündnistreuen Überlegungen nicht alle Details auf dem offenen Markt ausgebreitet werden. Auch die Taliban hören stets mit. Aber weder die eigene Regierung noch Parlament und Öffentlichkeit dürfen vom verantwortlichen Ministerium hinters Licht geführt. Das raubt die letzte Glaubwürdigkeit für den Kampfeinsatz der Bundeswehr am Hindukusch, den die große Mehrheit der Deutschen ohnehin ablehnt. Aber in den kommenden monatelangen Beratungen des Untersuchungsausschusses geht es nicht allein um die politische und höchste militärische Ebene. Sehr genau verfolgen werden die deutschen Soldaten vor Ort in Afghanistan, was und wie im fernen Berlin am grünen Tisch im wohl klimatisierten Sitzungssaal über ihre von der Politik verordnete lebensgefährliche Arbeit gesagt und gestritten wird. Es geht in diesem Ausschuss auch um sie. Am Ende der Untersuchungen muss neben der Antwort auf die politische wie militärische Verantwortung und die Angemessenheit des Luftschlags eine dritte gefunden werden: Sind die deutschen Soldaten für den zumindest "kriegsähnlichen" Einsatz in Afghanistan von Auftrag, Mandat des Parlaments und Ausrüstung her wirklich so gerüstet, dass sie den Kampf mit den Taliban nicht nur aufnehmen und bestehen können, sondern dabei eigene Verluste wie die von zivilen Opfern so gering wie möglich bleiben. Der Luftangriff von Kundus, der nach heftigem Streit jetzt hoffentlich ernsthaft untersucht wird, hätte vermieden werden können, wenn die deutschen Soldaten bessere Aufklärungsmittel in ihrem Arsenal gehabt hätten. Auf solche Drohnen warten sie bislang vergeblich. Vor zwei Jahren wurden sie der Bundeswehr angeboten. Das Geschäft scheiterte an bürokratischen und politischen Widerständen.
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