Berliner Morgenpost: Bundesregierung erkauft sich ihren ersten Erfolg - Leitartikel
Berlin (ots)
Sie hatten gar keine Wahl. Nur um den Preis für ihre Zustimmung konnten sie pokern. Hätten die schwarz-gelb regierten Länder der schwarz-gelben Bundesregierung gleich deren erstes großes Gesetzesvorhaben torpediert, hätten Angela Merkel und Guido Westerwelle alle Hoffnung begraben können, irgendwann doch noch in Fahrt zu kommen. Also stimmten Carstensen, Wulff und Co. letztlich wie zu erwarten im Bundesrat dem Gesetz zur Beschleunigung des Wirtschaftswachstums zu. Doch bevor die Wirtschaft wächst, wachsen erst einmal die Schulden des Bundes sowie in den Ländern und Kommunen. Zu den Steuerausfällen durch das heftig umstrittene neue Gesetz kommen die Kompensationszahlungen der Bundesregierung, die per Pump beglichen werden. Solide Finanzpolitik - zumal mit einer geplanten Rekord-Neuverschuldung in Höhe von 100 Milliarden Euro im Bundeshaushalt 2010 - ist das gewiss nicht. Doch was ist finanzpolitisch schon solide in Zeiten der größten Finanz- und Wirtschaftskrise seit Jahrzehnten? Deutschland hat sie dank großzügigster Hilfszahlungen für Konjunkturprogramme, zur Stabilisierung des Arbeitsmarkts und für Kaufanreize für die Verbraucher bislang ohne entscheidende wirtschaftliche und gesellschaftliche Verwerfungen durchgestanden. Das alles war zum Nulltarif nicht zu erreichen. Jetzt kommt es in der Tat darauf an, die mittlerweile leicht belebte Konjunktur weiter zu kräftigen. Schon jetzt den großen Sparsack aufzumachen, würde ersticken, was gerade erwacht. Insofern weist das gestern endgültig verabschiedete Gesetz in die richtige Richtung: Erleichterung erstens für die, die als Unternehmer - insbesondere des Mittelstandes - für neue Arbeitsplätze und mehr Steuereinnahmen sorgen sollen, und zweitens für Familien, die mit Kindern und mittlerem Einkommen besonders unter der Steuerprogression leiden. Der von der Regierung erwartete Erfolg ist keineswegs gesichert. Aber wer nichts riskiert, wer nicht den Mut hat, Politik nach seinen Vorstellungen zu gestalten, hat schon verloren, kaum dass er wie das Duo Merkel/Westerwelle im Amt ist. Die Koalition stünde allerdings glaubwürdiger da, hätte der Dritte im Bunde, die bislang schlechteste Möchtegern-Strauß-Kopie namens Seehofer nicht auf der lächerlichen Subventionierung von Hotelübernachtungen beharrt. Die Klagen der Länder, die immerhin erhört wurden, mehr noch die der Kommunen sind verständlich. Aber fortan alle Finanzprobleme allein auf das neue Gesetz abzuschieben, ist allzu bequem. Trotz allen Wehgeschreis wird in manchen Ländern und Gemeinden noch immer so gehandelt, als spiele Geld keine Rolle. Berlin bricht mal eben ein Gesetz, um Hartz-IV-Empfängern Umzüge in billigere Wohnungen zu ersparen, in Rheinland-Pfalz schaufelt die Landesregierung mit an einem Millionen-Grab für einen Erlebnispark am Nürburgring, oder gegen Bonns ehemalige Oberbürgermeisterin wird strafrechtlich ermittelt wegen allzu großzügiger Bürgschaftsübernahmen für den Pleite-Bau "World Conference-Center Bonn".
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