BERLINER MORGENPOST: Wohltaten bestellt, aber nicht bezahlt - Leitartikel
Berlin (ots)
In Delmenhorst haben sie vor ein paar Jahren schon mal nachts die Straßenlaternen abgestellt: Die Sträßchen lagen ebenso düster da wie das umliegende niedersächsische Flachland. Anderswo, im brandenburgischen Döbern, fehlen 1250 Euro, um das Stadtfest zu feiern. So weit ist es gekommen mit Deutschlands Städten. Die Finanznot raubt ihnen die Möglichkeit, ihre Funktionen zu erfüllen, nämlich Orte des Lichts zu sein und für ihre Bürger Gemeinsamkeit zu stiften. Seit Jahren leben in Deutschland Städte knietief im Dispo, und zwar nicht nur im Ruhrpott oder in Ostdeutschland, wo sich einige in der Vereinigungseuphorie mit Investitionen verhoben haben. Vielerorts treffen nicht mehr gewählte Kommunalpolitiker die Entscheidungen, ob Theater oder Jugendzentren geschlossen werden, sondern anonyme Beamte in den Kommunalaufsichtsbehörden der Länder. Diese Situation macht die kommunale Selbstverwaltung zur Farce und gefährdet die Demokratie auf der untersten Ebene, sie demoralisiert und entmündigt die Bürger. Dabei bilden Städte und Gemeinden den Kern der staatlichen Ordnung. Da geht es um Kindergärten, um Jugendzentren, um Service in Bürgerämtern und Grundsicherung für Arme im Alter, um befahrbare Radwege und Straßen ohne lebensgefährliche Löcher, um Schulgebäude ohne Risse in den Wänden, um Wohnungen für Hartz-IV-Empfänger, um Spielplätze und nicht zuletzt auch um Theater und Kultur. Viele Städte sind nicht mehr in der Lage, ihre Aufgaben angemessen zu erfüllen. Das Land spaltet sich in Orte, wo sich die Wohlhabenden zusammenfinden und sich ordentlich organisieren - und in den Rest, wo die Verlierer zurückbleiben. Die Wirtschaftskrise, in der die Gewerbesteuer eingebrochen ist, hat die Lage nur verschlimmert. Ausgelöst wurde die Misere durch eine Politik, die konsequent Leistungen bei den unteren Ebenen bestellt, ohne das nötige Geld mitzuliefern. Die Spanne der Zumutungen, die die Bundespolitik auf den Schultern der armen Vettern in den Rathäusern abgeladen hat, reicht von vielen sozialen Wohltaten über teure Bauvorschriften bis zum vollmundig versprochenen Ausbau der Kindertagesstätten. Die Folgen der kommunalen Finanzkrise haben Berlin noch nicht so hart erwischt wie andere. Als Stadtstaat darf sich die Hauptstadt noch in Schulden flüchten, ehe sie die Axt an Leistungen anlegt, die für viele Menschen staatliches Handeln erst ausmachen. Natürlich gibt es in einem Etat von 22 Milliarden Euro noch Einsparpotenziale. Wo aber zwei oder drei Milliarden herkommen sollen, die in zehn Jahren verlangt werden, weiß niemand. Das sind drei Mal alle Berliner Kitas. Oder der komplette Schuletat. Oder zweimal die Polizei oder zweimal die Hochschulen. Es hilft nichts: Auf die Dauer werden die Bundespolitiker von ihrem Ross heruntersteigen und den Kommunen mehr Geld überlassen müssen.
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