BERLINER MORGENPOST: Der Frust der Enttäuschten - Leitartikel
Berlin (ots)
Wieder nix mit dem Durchstarten. Diesmal ist es die Causa Steinbach, die Bundeskanzlerin Angela Merkel und der CDU den Aufbruch aus dem Stimmungstief in bessere Zeiten vermasselt. Dass die Präsidentin der Vertriebenen nicht gerade zu den Lichtgestalten in der CDU zählt, hat Frau Steinbach mit ihren kruden Bemerkungen zur Mobilmachung Polens im März 1939 einmal mehr bewiesen. Ihre Behauptung, die CDU verliere mehr und mehr ihre konservative Identität, und deshalb werde sie nicht erneut für einen Sitz im Parteivorstand kandidieren, müsste deshalb eigentlich nicht besonders ernst genommen werden. Muss sie aber doch, weil Frau Steinbach die bislang ziemlich treue CDU-Wählerschaft der Vertriebenen hinter sich hat. Und noch gravierender: Sie beschreibt mit ihrer Kritik am inneren Zustand der CDU eine Entwicklung, die immer mehr Unionsanhänger verbittert. Wie groß die Unzufriedenheit ist, zeigen die prompt wieder aufflammenden Spekulationen über die Gründung einer neuen Partei rechts von CDU und CSU. Angela Merkel hat es bislang nicht geschafft, der CDU ein klares Profil zu geben. So richtig es ist, dass mit einer reinen Unionslehre keine Wahl mehr zu gewinnen ist, so falsch ist es auch, eine Partei mit ihren christlich konservativen Wurzeln immer weiter zur linken Mitte hin zu positionieren, sie zu "sozialdemokratisieren". Dadurch geht der Markenkern verloren. Die Partei mäandert durch die politische Agenda, ohne klare Zielrichtung, ohne eindeutige Werteskala. Wenn eine Partei, die mit dem Slogan "Leistung muss sich wieder lohnen" in den Wahlkampf zieht und dieses Versprechen in ihrer Regierungsarbeit dann verrät, darf sie sich nicht wundern, wenn sie unglaubwürdig wird, wenn sich die Leistungswilligen im Lande zunehmend ungerecht behandelt fühlen. Der Frust der Enttäuschten ist mittlerweile so groß, dass eine neue Partei rechts von CDU und CSU auf ein Wählerpotenzial bis zu 20 Prozent zählen könnte. So weit hat es Angela Merkel gebracht. Weil sie weder verstanden noch erfahren hat, dass eine Volkspartei diesen Namen nur verdient, wenn sie unterschiedliche Schichten, Werte und Meinungen vertritt und dies alles zu einem Ganzen integriert. So werden Unionswähler zu Nichtwählern. Deshalb dümpelt die Union bundesweit nur noch bei 30 Prozent. Und nichts hat sie wirklich getan, um starke Meinungsvertreter der jeweiligen Flügel neben sich zu dulden. Das rächt sich insbesondere unter der konservativen Anhängerschaft. Vor der politischen Katastrophe einer Parteineugründung, wie der SPD mit der Linkspartei geschehen, bewahrt die Union allein ihr Glück, dass es an einem überzeugenden Initiator zum Aufbau eines Sammelbeckens aller Unzufriedenen aus dem konservativen Spektrum fehlt.
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