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BERLINER MORGENPOST: Der Westen muss sich zurückhalten - Leitartikel

Berlin (ots)

Wie reagieren wir demokratischen Staaten angemessen auf die gegenwärtige Erhebung in Ägypten, deren Kraft und Gewalt Bürger und Politiker gleichermaßen ängstigt? Am besten, indem wir uns an die Erkenntnis Reichskanzlers Otto von Bismarck erinnern: "Politik ist die Kunst des Möglichen." Nicht weniger, aber auch nicht mehr. Noch weiß niemand, wohin der Aufstand steuert. Zunächst sollte man dem Augenschein trauen und sich eingestehen, dass wir Zeuge einer Revolution in Ägypten und weiten Teilen der arabischen Welt sind. Jahrzehnte unterstützte man den Diktator Husni Mubarak mit Geld und Waffen. Selbst ein internationaler Terrorpate wie Gaddafi war als Geschäftspartner willkommen. Nun verkündet man Schlagworte wie Menschenrechte, Demokratie, Pressefreiheit. Damit macht man sich doppelt unglaubwürdig: einerseits bei autoritären Regimen wie Saudi-Arabien, auf deren Energieexporte wir angewiesen sind, zum anderen bei den aufbegehrenden Arabern, die den Pakt des Westens mit den alten Herrschern nicht vergessen haben. Und nun? Wir sollten innehalten, das Geschehen beobachten und uns eingestehen, dass wir im Moment nicht in der Lage sind, es steuern zu können. Dies zu versuchen wäre ebenso fatal wie die kriegerischen Bemühungen der europäischen Monarchien nach der Französischen Revolution von 1789, das Ancien Régime an der Macht zu halten. Das Ergebnis war lediglich eine Radikalisierung der Französischen Revolution und die Hinrichtung des Königspaars. Die Kunst des Möglichen gebietet Zurückhaltung. Die Völker Ägyptens und der arabischen Länder müssen selbstständig ihren Weg gehen. Es ist anzunehmen, dass sich am Nil die Muslimbrüder durchsetzen. Das verheißt religiöse Intoleranz, zunächst gegenüber den etwa acht Millionen koptischen Christen im Inneren, und Feindschaft gegenüber dem jüdischen Staat Israel. Präsident Sadat, der Frieden mit Jerusalem schloss, wurde 1981 von Soldaten, die unter dem Einfluss der Muslimbrüder standen, ermordet. Heute unterstützen Ägyptens Muslimbrüder ihre Gesinnungsgenossen im Gazastreifen. Gemeinsam will man, ebenso wie Irans Präsident Mahmud Ahmadinedschad, Zion vernichten. Das Wissen um die Intoleranz und Aggressivität der Muslimbrüder als entscheidende politische Kraft in Ägypten - und in anderen arabischen Ländern - sollte die westlichen Regierungen jedoch nicht dazu verleiten, in der gegenwärtigen Umbruchphase Verhaltensmaßnahmen und Regeln an die Araber zu richten. Diese ohnmächtigen Parolen würden nur zu einer Solidarisierung der Massen mit den Fundamentalisten führen. Die Respektierung der Autonomie der arabischen Völker und Länder darf jedoch nicht zur Ohnmacht oder gar zu Gleichgültigkeit führen. Wir erwarten keine Westminster-Demokratie in Kairo. Die Araber sollen nach ihrer Fasson selig werden. Doch Berlin, Brüssel und Washington müssen deutlich machen, was ihre Interessen sind und was sie nicht tolerieren werden: Es darf keine Unterdrückung der Kopten geben, und Israels Sicherheit ist, wie Bundeskanzlerin Merkel feststellte, "für uns nicht verhandelbar".

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