BERLINER MORGENPOST: Kommentar zum Sturm auf Israels Botschaft in Kairo
Berlin (ots)
Der Sturm auf die israelische Botschaft in Kairo stellt ein dramatisches Versagen des ägyptischen Staates dar. Die Unverletzlichkeit diplomatischer Vertretungen ist eines der ältesten und heiligsten Prinzipien im Umgang der Staaten untereinander. Deshalb war die Geiselnahme in der amerikanischen Botschaft in Teheran 1979 solch ein Tabubruch. Und deshalb ist das, was nach dem Freitagsgebet in Ägypten geschah, weit mehr als eine kleine Verfehlung. Zumal die ägyptischen Sicherheitskräfte dem Treiben offenbar lange Zeit tatenlos zugesehen haben. Das Ganze ist aber nicht allein ein Versagen des ägyptischen Sicherheitsapparates. Die Nacht zum Sonnabend ist auch die Nacht, in der die Revolution in Ägypten ihre Unschuld verlor. In den ersten Monaten der Aufstände hatte Israel kaum eine Rolle gespielt. Die Menschen waren weniger an einem alten Konflikt interessiert als daran, ein neues Kapitel in ihren Gesellschaften aufzuschlagen. Und viele hatten verstanden, dass der Konflikt mit Israel ihren Diktatoren jahrzehntelang nur als Vorwand gedient hatte, um dem eigenen Volk Mitsprache und Menschenrechte vorzuenthalten. Natürlich fanden sich auch in der Frühphase der Aufstände jene Plakate, auf denen der verhasste Husni Mubarak einen Davidstern auf der Stirn trug, um ihn als israelfreundlichen Verräter darzustellen. Doch das waren damals eher Randerscheinungen einer im Kern prowestlichen oder sich zumindest an westlichen Gesellschaftsmodellen orientierenden Bewegung. Doch damit ist es leider vorbei. Seit geraumer Zeit versuchen die ägyptischen Wahlkämpfer wieder mit den alten Rezepten arabischer Herrscher auf Stimmenfang zu gehen: Wenn man sonst wenig Programmatisches zu bieten hat, dann sind israelfeindliche Töne ein probates Mittel, um Konsens herzustellen. Für die immer stärker werdenden islamistischen Muslimbrüder gehört die Ablehnung Israels ohnehin zum Kern ihrer politischen Identität. Als ob diese Länder keine anderen Probleme hätten als Israel. Es ist die alte arabische Krankheit. Es ist nun an der Zeit, dass Europäer und Amerikaner eine rote Linie markieren und den Militärmachthabern wie den wahlkämpfenden Politikern klarmachen, dass sie mit Ägyptens Zukunft spielen, wenn sie den Konflikt mit Israel suchen. Kein Investor aus dem Ausland wird in Ägypten investieren, und die Touristen werden einen Bogen um das Land machen, wenn der Wille der Kairoer Führung zu Frieden und Stabilität in Zweifel steht. In Sachen Israel versteht der amerikanische Kongress auch überhaupt keinen Spaß, die üppige Militärhilfe der USA käme als Erstes auf den Prüfstand. Auch Europa wird einem israelfeindlichen Ägypten keine teure Aufbauhilfe überweisen wollen. Wichtig ist, dass diese Dinge nicht nur hinter verschlossenen Türen angesprochen werden. Denn die ägyptische Öffentlichkeit, der ägyptische Wähler sollte wissen, was auf dem Spiel steht, wenn im November gewählt wird. Die arabischen Revolutionen sind die Gelegenheit für die nahöstlichen Gesellschaften, Verantwortung für ihr eigenes Schicksal zu übernehmen. Dazu gehört aber auch, endlich erwachsen zu werden und sich den wahren Problemen ihrer Länder zu stellen, anstatt Israel als billigen Sündenbock zu nutzen.
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