BERLINER MORGENPOST: Das Internet muss auf den Stundenplan - Leitartikel
Berlin (ots)
Im Jahr 1980 wurde nicht nur John Lennon erschossen, sondern erwuchsen auch die Grünen zur Bundespartei. Walter Röhrl gewann die Rallye Monte Carlo. Und jeder, der von diesem Jahr an geboren wurde, ist das Kind einer Revolution, die die Welt auf den Kopf gestellt hat. Denn 1980 gilt als Geburtsjahr der Generation Internet. Wer seitdem aufgewachsen ist, gehört laut Experten zu den sogenannten Digital Natives. Dieses Wortungetüm wird gern mit der nicht minder sperrigen Kombination "digitale Einheimische" übersetzt. Das heißt: Wer heute um die 30 Jahre oder jünger ist, hatte immer Digitales wie Computer, Mobiltelefone oder das Internet um sich herum. Das Problem ist nur, dass die Älteren davon nicht unbedingt etwas mitbekommen haben. Ein Generationengraben tut sich auf: Während es für viele Eltern und Lehrer schwierig ist, in das digitale Leben hineinzukommen, ist es für viele Jugendliche heute ein Problem, wieder herauszukommen. In der Gruppe der 14- bis 24-Jährigen sind 2,4 Prozent internetabhängig. Bei 13 Prozent gilt das Verhalten als problematisch. Daran ist aber nicht das Internet schuld. Das Netz ist weder gut noch böse. Es ist ein Instrument wie ein Fernseher oder ein Buch. Die Erziehungswissenschaft sagt uns, dass es darauf ankommt, Medien zu verstehen, um sie bewusst und gezielt zu nutzen. Dies schützt davor, dass man sich berieseln, unreflektiert berauschen lässt und am Ende vielleicht nicht mehr ohne leben will. Internetkompetenz hilft den Jugendlichen, ihr Leben in der zunehmend digitaleren Welt aktiv zu gestalten. Zunächst sind die Eltern für diese Interneterziehung verantwortlich. Doch heute, im Jahr 2011, gibt es grob zusammengefasst eben diese zwei Generationen: online und offline. Und leider zeigt sich diese Grenze besonders deutlich zwischen Jugendlichen im Schulalter und ihren Eltern. Studien zeigen, dass 95 Prozent der Jugendlichen zwischen 14 und 19Jahren ein Handy benutzen. Sogar 99 Prozent surfen im Internet. Für sie gehört das Internet zum Leben. Weil viele Familien zerrüttet sind, die nötige Netz-Bildung vielen Erwachsenen fehlt und Ganztagsschulen zum Normalfall geworden sind, ist also der Schulunterricht gefragt. Doch bisher spielt das Netz nur eine Nebenrolle im Unterricht. Zwar gibt es in fast allen Schulen Computer - aber nur wenige, die den Umgang lehren können. Zum Glück stoßen in diese Lücke mittlerweile Organisationen wie der Chaos Computer Club oder der Berufsverband der Datenschutzbeauftragten. Sie hören die Hilfeschreie überforderter Lehrer und gestalten Unterrichtsstunden. Sie packen da an, wo der Staat versagt. Wir brauchen aber Lehrer, die fit im Netz sind. Das eine sind Fortbildungen. Viel wichtiger ist aber, dass die Ausbildung an den Hochschulen und das Referendariat das Internet umarmen und jeder angehende Lehrer das Wissen besitzt, das digitale Erwachsenwerden der Schüler zu begleiten. Wenn Lehrer nicht nur wissen, wie man ein Buch liest, sondern auch, was im Internet passiert, werden Schüler auch vor der Sucht im Netz geschützt. Wir brauchen das Schulfach Internet.
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