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BERLINER MORGENPOST: Das Unternehmen Größenwahn Torsten Krauel über Nordkorea,die Kriegsdrohungen und die Perspektiven in Asien

Berlin (ots)

Kim Jong-un sagt einem US-Basketballspieler, Barack Obama möge doch mal anrufen. Anschließend lässt er nachts um halb eins seine Generäle zusammentrommeln und Raketen gegen Amerika startklar machen, die er womöglich gar nicht hat. Dann wieder droht er "mitleidlose Gegenschläge" ausdrücklich auch "anderen feindlich gesinnten Ländern" an. Kim Jong-un benimmt sich scheinbar komplett verrückt, aber in seinem Toben wird Shakespeares Wahrheit erkennbar: Ist's Tollheit, hat es doch Methode. Denn was er hier entfaltet, kann sein Ussuri-Moment sein.

Am russisch-chinesischen Grenzfluss Ussuri inszenierte der weltpolitisch völlig isolierte Mao Tse-tung 1969 einen kleinen Krieg. Er spielte gezielt mit dem Feuer, obwohl er Moskau militärisch hoffnungslos unterlegen war. Maos Kalkül ging auf: Wegen des Kriegsgeschreis am Ussuri erschienen erst Moskaus Premier Kossygin und danach US-Präsident Nixon in Peking - Kossygin, weil Moskau einen Zweifrontenkonflikt nicht brauchen konnte, und Nixon, weil er genau diese Chance sah, Russland an zwei Fronten zu beschäftigen. Amerikanische Überlegungen, Chinas junge Atomrüstung präventiv auszuschalten, kamen endgültig zum Erliegen. Stattdessen gewann Mao die USA als Verbündeten. Pjöngjang kann durchaus glauben, dass China sich dank der Provokation aus der Isolation befreite. Hat Kim Jong-un beschlossen, den Dialog mit Barack Obama auf ähnliche Weise zu erzwingen wie Mao? Für ein Fenster der Gelegenheit könnte er Gründe sehen. Denn seit November dringen aus den USA zum Thema Asien Töne, die für Kim nichts Gutes verheißen, wenn er jetzt nichts unternimmt.

Barack Obamas Nationaler Sicherheitsberater hatte im November und März Reden zur amerikanischen "Neuausrichtung nach Asien" gehalten. Diese klangen wie der Startschuss zu einem neuen Wettlauf um die Macht im Westpazifik - und mit solchen Wettläufen hat Korea seine Erfahrungen gemacht. Das Regime in Pjöngjang ist auf paranoide Weise geschichtsbesessen, weil es jenseits des Personenkults ein gutes historisches Gedächtnis hat. Vier Mal in der jüngsten Vergangenheit haben Großmächte auf koreanischem Boden oder an seinen Küsten um die Vorherrschaft im Westpazifik gerungen - zuerst Japan 1894 mit China, dann 1905 Japan mit Russland, danach 1945 die USA mit Russland und seit 1950 die USA mit China. Über einen Ausgang heute macht sich Nordkorea mit Sicherheit keine Illusionen: China würde gewinnen.

Nach dem dritten Atomtest im Februar sagte Pjöngjang, das verblendete Seoul sei einfach zu dumm, um "den nationalen Schatz zu würdigen", den die Atomrüstung darstelle. Der Satz war ein Programm - so wie die Äußerungen, dass kleine Staaten untergingen, wenn sie nicht rechtzeitig rüsteten. Wer annähme, das beziehe sich nur auf Syrien oder Libyen, würde Nordkoreas asiatischen Sinn für Waagschalen unterschätzen.

Kim Jong-un ist noch jung, aber, so mag er denken: Am Westpazifik laufen die Uhren ab, Eile ist geboten. Es ist ein Unternehmen Größenwahn, brandgefährlich, rücksichtslos und tückisch, aber womöglich eines mit Methode.

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