BERLINER MORGENPOST: Christenpflicht und Politik - Kommentar von Andreas Abel
Berlin (ots)
Im vergangenen Herbst setzte der Bezirksbürgermeister von Mitte, Stephan von Dassel (Grüne), seinen Hilferuf zum Großen Tiergarten ab: Der Senat müsse sich endlich um die überhandnehmenden Zeltlager von Obdachlosen in Berlins Citypark kümmern. Die campierenden Obdachlosen wurden konsequent vertrieben, bessere Beleuchtung installiert, Sträucher beschnitten.
Problem also gelöst? Das zu glauben, wäre naiv. Schon die Feststellung von Sozialsenatorin Elke Breitenbach (Linke), es sei "keine Verlagerung der Problematik in angrenzende Bezirke erkennbar", teilen vermutlich etliche Berliner nicht.
Zudem sollten wir vor einer Beurteilung, wie viele Obdachlose, vor allem aus Osteuropa, in Berlins Parks drängen, das Frühjahr abwarten. Wenn ab dem 1. Mai die Schlafplätze der Kältehilfe nicht mehr zur Verfügung stehen, sieht die Situation möglicherweise ganz anders aus.
Die zentrale Frage indes, die politisch gelöst werden muss, ist der Umgang mit Obdachlosen aus Osteuropa. Sie bilden längst die Mehrheit derer, die auf der Straße leben. 90 Prozent der Menschen, die im Großen Tiergarten zelteten, waren polnische Staatsangehörige. EU-Ausländern stehen viele soziale und medizinische Hilfen vom Gesetz her nicht zu. Die rot-rot-grüne Landesregierung will ihnen dennoch aus humanitären Gründen Unterstützung gewähren. Das ist grundsätzlich begrüßenswert - egal, ob man es als gesellschaftliche Aufgabe in Europa oder als Christenpflicht begreift. Aber es braucht eine Verständigung darüber, was wir leisten wollen und können. Um diese Debatte darf sich die Politik nicht drücken.
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