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BERLINER MORGENPOST: Das Trauma von 2011
Leitartikel von Florian Schmidt über die Grünen und ihr Umfragehoch

Berlin (ots)

Die Botschaft, die die Grünen derzeit verbreiten wollen, ist eindeutig: Gehen Sie bitte weiter, hier gibt es nichts zu sehen. Umfragehoch? 24 Prozent Zustimmung, Spitzenreiter unter den Berliner Parteien? Grünes Rathaus? Alles nur eine Momentaufnahme, noch ist nichts entschieden. Diese Haltung nimmt die Öko-Partei derzeit bundesweit ein. Die Botschaft, sie wird fast zum Mantra. Vor dem Hintergrund der Wahlen in Hessen und Bayern wurde sie immer wieder verkündet, nach den jüngsten Umfrageergebnissen auf Berliner Landesebene spulen sie nun auch die Hauptstadt-Grünen ab.

Bei der stark schwankenden Meinung der Wähler ist das verständlich. Im laufenden Jahr hatten zu unterschiedlichen Zeitpunkten insgesamt vier verschiedene Parteien die Pole-Position inne, was auch daran liegt, dass das Wettrennen in Berlin sehr eng ist. Rechnet man den Durchschnitt aller 16 Wähler-Befragungen in diesem Jahr aus, liegen die Parteien extrem nah beieinander: Die SPD kommt auf einen Durchschnittswert von 17,8 Prozent, die CDU auf 18,7 Prozent, die Linke auf 19,4 Prozent und die Grünen auf 18,3 Prozent. Leicht fällt es, den zahlreichen Partei-Vertretern recht zu geben, die jetzt sagen, es sei deshalb viel zu früh, um in Jubel auszubrechen, gar Debatten über das Spitzenpersonal zu führen. Die nächste Wahl auf Landesebene steht schließlich erst 2021 an, tatsächlich kann bis dahin noch viel passieren, zum Beispiel schwache Ergebnisse bei den Landtagswahlen in Thüringen und Sachsen im kommenden Jahr, die auch Auswirkungen auf das Erscheinungsbild der Partei insgesamt haben könnten.

Der eigentliche Grund für die Zurückhaltung der Berliner Grünen ist jedoch ein anderer. Dass gerade sie besonders vorsichtig sind, wenn es darum geht sich über Höhenflüge zu freuen, liegt vor allem in der Geschichte. Noch immer leidet die Partei in Berlin unter ihrem Trauma von 2011. Erstmals traten die Grünen damals mit dem Anspruch an, im Roten Rathaus mit Renate Künast die Regierende Bürgermeisterin zu stellen. Bis zum Sommer 2011 sah alles gut aus, Künast und die Grünen führten die lokalen Umfragen bisweilen mit 31 Prozent an, ließen Klaus Wowereit und die SPD zittern. Dann aber machte Künast Fehler, schlug vor, auf Hauptstraßen weiträumig Tempo 30 einzuführen. Der Anfang vom Ende des Öko-Hypes, der sich anschließend auch im Wahlergebnis niederschlug: Enttäuschende 17,6 Prozent fuhren die Grünen ein. Der Grundstein für fünf weitere Jahre in der Opposition war gelegt.

Für den Moment ist darum auch diese Erinnerung ein nachvollziehbarer Grund für die Zurückhaltung der Partei. Auf Dauer aber könnte den Grünen ihr Trauma zum Verhängnis werden. Bleibt die Zustimmung der Wähler hoch, führen sie die Umfragen auch in einem halben Jahr noch an, dürfen die Berliner zu Recht erwarten, dass sich die Partei grundsätzlich für die kommende Wahl positioniert. Aussagen zu etwaigen Koalitionspartnern, zumindest aber Signale, zählen genauso dazu wie die berechtigte Frage nach dem Spitzenpersonal. Soll Wirtschaftssenatorin Ramona Pop Spitzenkandidatin werden oder Fraktionschefin Antje Kapek? Oder noch jemand anderes? Wollen die Grünen gegenüber den anderen Parteien nicht ins Hintertreffen geraten, müssen auch sie sich bald damit beschäftigen. Das aktuelle Umfragen-Hoch wäre dafür ein guter Ausgangspunkt.

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