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BERLINER MORGENPOST: Die Zeche zahlt der Fahrgast
Leitartikel von Gilbert Schomaker zum Streik bei der BVG

Berlin (ots)

Kurzform: Der für Montag angekündigte BVG-Streik ist maßlos, völlig überzogen und trifft die Falschen - und das gleich zweimal. Der von der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi geplante Ausstand ist so groß wie noch nie in der aktuellen Tarifauseinandersetzung. Der Streik am Montag ist auch deshalb überzogen, weil die Arbeitgeberseite sich ja bewegt. Es gibt eine Lehre aus dieser Tarifrunden: Immer größere Landesbetriebe verschaffen auch den Gewerkschaften immer mehr Macht. Wenn die S-Bahn auch noch in Landeshand kommt, fährt im Zweifel in dieser Stadt gar nichts mehr.

Der vollständige Leitartikel: Um es gleich am Anfang zu sagen: Der für Montag angekündigte BVG-Streik ist maßlos, völlig überzogen und trifft die Falschen - und das gleich zweimal. Der von der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi geplant Ausstand ist so groß wie noch nie in der aktuellen Tarifauseinandersetzung. Bisher streikten mal die Busfahrer, mal Bus- und U-Bahnfahrer - aber nur einen halben Tag. Nun soll die gesamte BVG einen Tag lang lahmgelegt werden. Das ist maßlos. Und zwar deshalb, weil die Tarifverhandlungen laufen und weil die Arbeitgeberseite sich bei den Finanzen sehr großzügig zeigt. Im Durchschnitt 450 Euro soll jeder der rund 15.000 Beschäftigten der Berliner Verkehrsbetriebe zusätzlich erhalten. Nicht im Jahr, sondern im Monat. Im Einzelfall bekommen die einzelnen Berufszweige bei der BVG, wie die Mechaniker und Busfahrer, sogar nochmal deutlich mehr. Nämlich bis zu 600 Euro. Umgerechnet ist das ein Gehaltssprung von durchschnittlich 17 Prozent. Wann hat es jemals solche Steigerungen bei einer Inflationsrate deutlich unter zwei Prozent gegeben? Die Arbeitgeberseite ist bereit, 90 Millionen Euro zusätzliche Personalkosten einzuplanen. Wer die Rechnung zahlt, dazu später mehr. Die Gewerkschaft nutzt die historische Chance, so viel Geld wie möglich aus den Verhandlungen zu holen. Ihr Hebel dafür ist die Arbeitszeit. Bei der BVG gibt es nämlich eine Zweiteilung: Wer nach 2005 eingestellt wurde, arbeitet 39 Stunden pro Woche. Die Kollegen mit älteren Arbeitsverträgen kommen auf 36,5 Stunden. Das Dilemma für die Arbeitgeber: Sollten alle Arbeitszeiten auf 36,5 Stunden abgesenkt werden, braucht das Unternehmen nochmal zusätzlich 500 neue Mitarbeiter. Dabei ist es jetzt schon schwierig, Fahrer zu finden. Hinzu kommt, dass die BVG ihr Angebot wegen der wachsenden Stadt ausweiten muss. Aber schon jetzt fallen Bahnen und Busse ständig aus. Der Streik am Montag ist auch deshalb überzogen, weil die Arbeitgeberseite sich ja bewegt. Es ist ja nicht so, dass die Verhandlungen völlig festgefahren wären. Nein, Verdi zeigt Muskeln. Die Gewerkschaft ist bei der BVG gut organisiert und schafft es schnell, die Mehrheit der Beschäftigten hinter sich zu bringen. Die Mehrheit der Berliner wird allerdings kaum verstehen, wieso am Montag Busse und U-Bahnen nicht mehr fahren sollen. Der Total-Streik trifft die Falschen, nämlich die Menschen, die nicht aufs Fahrrad oder die S-Bahn umsteigen können. Ältere, die quer durch die Stadt zu einem Arzttermin müssen. Eltern, die nun ihre Kinder morgens zur Schule fahren und nachmittags wieder abholen müssen. Die ersten Streiks haben die Berliner mit erstaunlicher Geduld ertragen. Sollte Verdi weiter überdrehen, wird das Verständnis schwinden. Es gibt noch eine Lehre aus dieser Tarifrunden: Immer größere Landesbetriebe verschaffen auch den Gewerkschaften immer mehr Macht. Wenn die S-Bahn auch noch in Landeshand kommt, fährt im Zweifel in dieser Stadt gar nichts mehr. Am Montag kann zumindest ein Teil der Fahrgäste noch auf die S-Bahn umsteigen. Bleibt noch die Frage: Wer soll das alles bezahlen? Bisher belaufen sich die Personalkosten auf knapp 570 Millionen Euro. 90 Millionen Euro drauf ist da schon happig. Die BVG erwirtschaftet pro Jahr einen Überschuss von gut zehn Millionen Euro. Zudem soll sie bestimmte Tickets billiger anbieten als heute - das ist politisch gewollt. Bleibt also ein großes Finanzloch und nur einer, der die Zeche zahlt: der Fahrgast. Der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD) hat es am gestrigen Freitag schon prophezeit: Man müsse offen und ehrlich sagen, dass es eine Preiserhöhung bei der BVG geben wird.

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