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Der Rückzieher - Leitartikel von Christine Richter

Berlin (ots)

Es ist eine historische Kehrtwende: Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat am Mittwoch die "Osterruhe" gekippt, sie, deren Amtszeit in Kürze endet, gestand einen Fehler ein, übernahm dafür die Verantwortung und bat alle Bürger um Verzeihung. So ein Eingeständnis einer Bundeskanzlerin nur gut 24 Stunden nach einer Entscheidung erlebt man wahrlich nicht alle Tage.

Sicherlich, die Corona-Pandemie zerrt an uns allen, auch an den politisch Verantwortlichen, die sich seit einem Jahr im Krisenmodus befinden. Doch mit jedem Bund-Länder-Gipfel wächst in der Bevölkerung die Ratlosigkeit, der Unmut, auch der Ärger. Außer Lockdown und Verlängern des Lockdowns fällt den Politikern seit Monaten nichts ein. Beim Lockdown vor Weihnachten hieß es, der müsse sein, damit wir dann Ostern mit der Familie verbringen können. Nun sollen wir Ostern in den Lockdown, damit wir uns dann an Pfingsten oder im Sommer wieder freier bewegen können. Wer glaubt das noch?

In den entscheidenden Punkten haben die Politiker versagt: bei der Bestellung des Impfstoffs im vergangenen Jahr, bei der Vorbereitung eines Selbsttests-Konzepts und der Beschaffung dieser Selbsttests. Das wichtigste Instrument, um die Pandemie zu besiegen, ist der Impfstoff. Und so großartig es ist, dass es diesen nach nur knapp zehn Monaten Entwicklung gibt, so gravierend sind die Fehler, die die Regierung dann gemacht hat. Auch Merkel, denn sie wollte unbedingt eine europäische Lösung. Auch Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU), denn er setzte sich gegen Merkel nicht durch und kümmerte sich nicht um ausreichend Impfstoff für Deutschland.

Und so kommt es, dass in den USA - übrigens vom viel gescholtenen Donald Trump vorbereitet, von seinem Nachfolger Joe Biden jetzt mit Druck umgesetzt - so schnell und viel geimpft wird, dass die erwachsenen Amerikaner bis Ende Juni durchgeimpft sind. Während bei uns Impftermine verfallen, während 79,5-Jährige abgewiesen werden, weil sie noch nicht 80 Jahre alt und damit noch nicht dran sind, während hier alles so bürokratisch abläuft, dass einem ob der deutschen Gründlichkeit ganz elend wird, fahren Amerikaner im SUV an der Mautstelle vor, halten den Arm raus, werden geimpft und bekommen noch einen Stempel in den Impfpass, das war's.

Auch die zweite Säule, die Selbsttests, wurde sträflich vernachlässigt. Wo bleiben sie, die vielen Millionen Testkits, die man braucht, um Schulunterricht, Kita-Besuch oder Arbeit im Betrieb zu ermöglichen? Warum beginnen erst jetzt Pilotprojekte mit Kultureinrichtungen? Warum kann man damit nicht Gastronomie oder Hotelübernachtungen ermöglichen? Wir könnten so viel weiter sein.

Der dritte große Fehler: Anders als China, Südkorea oder Taiwan haben wir keine funktionierende Warn-App. Interessanterweise werden bei uns so viele Grundrechte außer Kraft gesetzt, um die Pandemie zu bekämpfen, an dieses Instrument, das in Asien hilft, Infektionsketten zu unterbrechen, wagt sich die Regierung nicht ran. Aus Angst vor den politisch einflussreichen Datenschützern.

Merkel hat einen Fehler zugegeben und sich entschuldigt. Es gäbe noch sehr viel mehr zu entschuldigen - und endlich besser zu machen.

Pressekontakt:

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Telefon: 030/887277 - 878
bmcvd@morgenpost.de

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