Trumps Saat der Gewalt
Leitartikel von Michael Backfisch
Berlin (ots)
Worte können toxisch sein. Sie können das politische Klima vergiften. Sie können zur Gewalt anstacheln. Und ja, im Extremfall können sie auch einen Bürgerkrieg auslösen. Was der giftige Cocktail einer hasserfüllten Rhetorik anrichten kann, lässt sich derzeit in den USA beobachten. Kurz vor den Zwischenwahlen zum US-Kongress bricht ein Attentäter in das Privathaus der Sprecherin des Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, ein. Er will die demokratische Spitzenpolitikerin für ihren "Lug und Trug" bestrafen und ihr die Kniescheiben zertrümmern. Da er Pelosi nicht vorfindet, verletzt er ihren Ehemann schwer.
In den sozialen Netzwerken hatte der 42-Jährige zunächst mit seiner Rufmordkampagne Spuren hinterlassen. So schwadronierte er immer wieder über die von Ex-Präsident Donald Trump lancierte Lüge von der gestohlenen Wahl 2020.Trumps Mär von der manipulierten Präsidentschaftswahl, sein wider alle gerichtlich zertifizierten Urteile gerichtetes Narrativ ziehen zerstörerische Kreise im Land. Sie untergraben den Dialog zwischen Parteien, den intellektuellen Streit um die besten Ideen - sie höhlen das Fundament der Demokratie aus.
In Amerika grassiert die Angst, dass es auch bei den bevorstehenden Kongresswahlen zu gewaltsamen Ausschreitungen kommen könnte. "Ich bin besorgt, dass nach dem Wahltag am 8. November Unruhen und Chaos ausbrechen", warnte der politische Kommentator Bill Kristol, ein hartgesottener Republikaner und Trump-Gegner. Sollten republikanische Kandidaten verlieren, befürchtet er erneute Lügenparolen von der "gestohlenen Wahl" - samt Stürmung von Parlamenten in den Bundesstaaten. Als Blaupause dient der von Trumps Wutrede befeuerte Mob-Marsch auf das Kapitol am 6. Januar 2021.
Der Pelosi-Attentäter ist nur ein Symptom für die völlig vergiftete politische Kultur im Land. Trumps Saat geht auf und erreicht die Basis der Gesellschaft. Aus politischer Konkurrenz wird unversöhnliche Feindschaft. Republikaner und Demokraten leben in Parallelwelten. Der politische Kompromiss, jahrzehntelang ein Kennzeichen der US-Demokratie, wird zum Schimpfwort.
Es sind vor allem Trumps rechtsextreme Sturmtruppen, die sich durch die Kampfrhetorik ihres "Chefs" ermächtigt fühlen, gegen die Institutionen Front zu machen. Ihre Hassvokabel lautet "deep state", eine vermeintlich antirepublikanische Verschwörung im Zentrum des Staates. Der Mythos vom Märtyrer Trump, den die Demokraten angeblich mit aller Macht vom Weißen Haus fernhalten wollen, spornt die republikanischen Hardliner ebenso an wie die Rechtsradikalen.
Die Polarisierung der amerikanischen Gesellschaft ist allerdings kein völlig neues Phänomen. Sie begann Mitte der 90er-Jahre. Der republikanische Bulldozer-Politiker Newt Gingrich, von 1995 bis 1999 Sprecher des Repräsentantenhauses, gab die Devise aus: Jede Initiative der Demokraten sollte im Kongress blockiert, Präsident Bill Clinton zur politischen Ohnmacht verdammt werden. Mit der gleichen Vehemenz lief die republikanische Tea-Party-Bewegung ab 2009 Sturm gegen Präsident Barack Obama.
Donald Trump steht in dieser unheilvollen Tradition des republikanischen Extremismus. Er markiert bislang nur den Höhepunkt einer Ideologie der Spaltung. Dies ist nicht nur eine Gefahr für die US-Demokratie. Das Konzept des Westens insgesamt mit der politischen Führungs- und der militärischen Schutzmacht Amerika steht auf dem Spiel.
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