Auf dem Irrweg
Leitartikel von Jan Dörner zu Scholz' China-Strategie
Berliner Morgenpost
Berlin (ots)
Ohne China geht nichts. Der Kampf gegen die Erderwärmung kann ohne das Riesenreich nur verloren gehen - das Land ist für ein Drittel der weltweiten CO2-Emissionen verantwortlich. Ein Frieden in der Ukraine ist ohne das Einwirken Pekings auf Russlands Machthaber Wladimir Putin wohl nicht zu erreichen. Und für die deutsche Wirtschaft ist das Land mit seinen 1,4 Milliarden Einwohnern nicht nur ein wichtiger Lieferant, sondern auch ein enormer Absatzmarkt. Die Reise von Olaf Scholz nach Peking wirft jedoch vor dem Hintergrund der geostrategischen Eruptionen der vergangenen Jahre die Frage nach der China-Strategie des Kanzlers auf. Ist Scholz auf einem Irrweg?
Die Zeit der grenzenlosen Globalisierung ist vorbei, möglicherweise unwiederbringlich. Die Jahre rund um die Jahrtausendwende waren in vielen westlichen Regierungssitzen und Konzernzentralen von der Erwartung geprägt, die Weltwirtschaft wachse immer weiter zusammen - und zwar zum Wohle aller.
Die Verschiffung von Waren, Komponenten und Rohstoffen rund um den Globus wurde derart perfektioniert, dass Unternehmen in Europa Lagerhallen abbauten, um die in den Containerhäfen anlandenden Materialien direkt weiterzuverarbeiten. Zudem herrschte die Zuversicht, dass politisch schwierige Partner durch gemeinsamen Handel an den Westen gebunden werden können. Diese Annahmen haben sich als Trugschluss erwiesen.
Erst zerrüttete die Corona-Pandemie die internationalen Lieferketten und legte die Schwächen des globalen Wirtschaftssystems offen. Der Angriff Russlands auf die Ukraine lieferte vor allem uns Deutschen dann den Beweis, dass gemeinsamer Handel keineswegs zu politischem Wandel führt. Die deutsche Abhängigkeit von seinem Öl und Gas setzt Wladimir Putin gezielt als Waffe ein.
Hinzu kommt: Die überwunden geglaubte Konkurrenz der Systeme ist zurück. Experten haben keinen Zweifel, dass Chinas totalitärer Machthaber Xi Jinping weder Mittel noch Wege scheut, um seinem Land im Ringen um Einfluss auf der Welt einen Vorteil zu verschaffen. Nach Einschätzung deutscher Sicherheitsbehörden ist der Konflikt mit Russland nicht einmal im Ansatz vergleichbar mit der Bedrohung, die uns durch China entsteht. "Russland ist der Sturm, China ist der Klimawandel", warnt der Präsident des Bundesverfassungsschutzes, Thomas Haldenwang. Von vielen Seiten wird gefordert, sich dringend wirtschaftlich unabhängiger von China zu machen, bevor Deutschland sich in der Dependenz zu dem machthungrigen Staat verliert.
Zwar appelliert der Kanzler an deutsche Unternehmen, die Abhängigkeit von China zu verringern, indem sie alternative Lieferketten aufbauen und neue Märkte erschließen. Scholz selbst handelt aber nicht danach. Zwar mag er recht behalten, dass der bisher begrenzte Einstieg der chinesischen Staatsreederei Cosco am Hamburger Hafen an sich kein Problem ist. Es ist jedoch bedenklich, wie Scholz dies ohne öffentliche Erklärung inmitten der Debatte um Deutschlands Verwundbarkeit gegen die massiven Bedenken seiner Koalitionspartner durchdrückte.
Das erinnert daran, wie Scholz nur Wochen vor dem russischen Angriff auf die Ukraine noch steif und fest behauptete, die Gaspipeline Nord Stream 2 sei ein rein privatwirtschaftliches Projekt. Die internationalen Partner schüttelten ob solcher Blauäugigkeit nur entsetzt den Kopf. Nicht nur bei seinem Besuch in Peking, sondern auch danach muss Scholz zeigen, dass er die Zeichen der Zeit erkannt hat.
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