Reißt die neue Berliner Mauer ein! Nur Schwarz-Grün kann die verschiedenen Milieus der Stadt zusammenführen
Leitartikel von Joachim Fahrun
Berlin (ots)
Der Blick auf die Berlin-Karte zeigt die Lage deutlich: innen grün, außen schwarz. So stellt sich die politische Lage in der Hauptstadt dar. Die Spaltung in klar abgrenzbare Wählerpräferenzen und dazugehörige Milieus hat sich bei der Wiederholung noch tiefer in die Stadtlandschaft gefräst. Der S-Bahn-Ring ist die neue Berliner Mauer.
Drinnen wählen die Menschen vorwiegend grün. Hier leben die jüngeren, kosmopolitischen, ökonomisch oft bessergestellten Berliner. Viele profitieren vom Wirtschaftsaufschwung, arbeiten in den aufstrebenden Berliner Digitalunternehmen oder den hauptstadtrelevanten Branchen von Administration oder Verbänden. Sie wollen urban leben, aber mit weniger Autoverkehr, mehr grün und Platz für Radfahrer und Fußgänger.
Draußen haben die Menschen erdrutschartig für die CDU gestimmt. Die Leute in den äußeren Stadtteilen wollen ihr Auto nutzen, auch weil Busse und Bahnen sie vielerorts nicht gut genug anbinden. Sie wundern und ärgern sich über viele Debatten in der "woken" Innenstadt-Bubble. Wo die einen das bunte Berlin besingen, haben die anderen Angst vor Kriminalität und gewalttätigen Zuwanderern.
Die große Aufgabe eines neuen Senats wird es sein, diese auseinanderstrebenden Milieus zu versöhnen oder zumindest wieder in einen Dialog zu bringen, der etwa im Streit um die Sperrung der Friedrichstraße vollkommen unter die Räder kam.
CDU, SPD und Grüne betonen unisono, wie wichtig es jetzt sei, "die Stadt zusammenzuhalten". Wer das ernst nimmt, hat eigentlich nur eine Regierungsoption: Schwarz-Grün, die Verbindung von Spandau und Kreuzberg, von Reinickendorf und Prenzlauer Berg.
Auch ein Blick auf die Altersstrukturen der Wählerschaft legt ein solches Bündnis nahe. Die CDU siegte bei den Alten, die Grünen sind mit Abstand der wichtigste Vertreter für die Berliner unter 40. Würden sich CDU und SPD verbünden, wäre niemand in einer Regierung ein den eigenen Wählern verpflichteter Sachwalter der jüngeren Generation. Für eine junge Stadt eine wenig attraktive Option.
Natürlich lassen sich zahllose Gründe aufzählen, warum die eher konservative Hauptstadt-CDU und die von Kreuzberg dominierten Berliner Grünen nicht zusammenfinden. A100, Friedrichstraße, überhaupt die Verkehrspolitik. Die Bodycams für die Polizei, die Videoüberwachung und überhaupt die Innenpolitik.
Aber weder ist Kai Wegners CDU so autofixiert, wie es im Wahlkampf den Eindruck machte, noch sind die Christdemokraten in der Integrationsdebatte so spalterisch unterwegs, wie es die Frage nach den Vornamen der Silvesterrandalierer nahelegt. Auch den Grünen muss klar sein, dass sie mit einer "100-Prozent-Politik" etwa in der Verkehrswende nicht weiterkommen.
Wenn beide Parteien die gesellschaftliche Notwendigkeit einer Zusammenarbeit erkennen, sollten Kompromisse möglich sein. Verwaltungsreform, Wirtschaftspolitik, Klimaschutz, Ausbau von Bussen und Bahnen, auch Mieterschutz: Es gibt Schnittmengen. Beide Seiten müssen lernen, sich Erfolge zu gönnen. Die Anhänger sollten einsehen, dass auch die Interessen der anderen zu berücksichtigen sind. Nur so kann ein neuer Gesamtberliner Bürgergeist entstehen. Die Alternative wären verhärtete Fronten. Nicht nur zwischen Parteien, sondern auch zwischen sozialen Gruppen in dieser Stadt. Es ist Zeit, die neue Berliner Mauer einzureißen.
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