Alle Storys
Folgen
Keine Story von BERLINER MORGENPOST mehr verpassen.

BERLINER MORGENPOST

Berliner Morgenpost/Bargeld lebt!/Leitartikel von Birgitta Stauber

Berlin (ots)

Schon mal aus dem Handgelenk bezahlt? Die Smartwatch lässig geschwenkt in Richtung EC-Karten-Leser - bis ein angenehmer Klingelton den Zahlungseingang bestätigt? Das ist zugegebenermaßen ein gutes Gefühl, nicht mehr ausgebeulte Geldbörsen voller Kleingeld mit sich herumzuschleppen zu müssen. Und wie schnell das geht im Supermarkt: Es piepst und klingelt, als würden wir auf dem Fließband durch die Kassen geschleust.

Doch dann dies: Ein analoger Senior zieht ein dickes, mit Scheinen und Münzen vollgestopftes Portemonnaie aus seiner Hosentasche. Er holt einen 50-Euro-Schein raus, hält inne - und sagt den Satz des Grauens: "Moment, ich habe es auch passend." Dann zählt er mit spitzen Fingern Cent-Stücke ab, lässt sich schließlich, weil seine weitsichtigen Augen mit den verschiedenen Münzen nicht klarkommen, von der Kassiererin helfen.

Das nervt natürlich Kartenzahler, erst recht die mit der Smartwatch. Und doch entsteht da ein zauberhafter Moment. Das nennt sich Vertrauen. Geschenkt vom Senior an die Kassiererin. Eine friedliche, stille Situation, der sich alle in der Schlange an der Supermarktkasse unterordnen.

Genau diese Momente will Österreich erhalten - mit einer Initiative, die das Recht auf Bargeld sichern soll. Dahinter steckt das Bekenntnis zum großen Gefühl, das Bargeld tatsächlich auslösen kann. Wer erinnert sich nicht an die Briefumschläge voller Scheine, die man als Kind bei der Erstkommunion, Konfirmation oder Jugendweihe überreicht bekam. An das erste Geld, verdient als Babysitter. An das Euro-Starterkit von 2002, als die D-Mark ausgedient hatte. Oder an die 100 Mark Begrüßungsgeld, die sich DDR-Bürger im November 1989 in westdeutschen Banken abholen durften. Tatsache ist: Bargeld erzeugt Geschichte, persönliche, gesellschaftliche, politische. Es riecht, es knistert, es klimpert. Es hat Gewicht und braucht Platz. Da kommt kein Paypal-Konto mit.

Bargeld hat natürlich Schattenseiten. Es ist komplett anonym - und das macht es gefährlich: Die Organisierte Kriminalität liebt Bargeld, weil sich Einnahmen aus illegaler Prostitution, Menschenhandel, Drogenverkauf mit Investitionen in Immobilien, Luxusuhren oder Autos waschen lassen. Die Schwarzarbeit liebt auch Bargeld. Ob Kellnerinnen und Kellner, Haushaltshilfen oder Handwerker: Wer sie bar bezahlt, spart sich Lohnnebenkosten oder Umsatzsteuer. Und wer sich bar bezahlen lässt, verzichtet dann auch schon mal darauf, dies auf das Bürgergeld anrechnen zu lassen.

Bargeld macht großzügig. Wer es in der Tasche hat, gibt gerne den ein oder anderen Euro an Obdachlose ab. Oder legt einen Schein drauf beim Italiener. Bargeld ist auch Anerkennung im Alltag, eine Belohnung für gute Leistung.

Und doch heißt es immer öfter für Leute wie den analogen Senior: Draußen bleiben. Etwa im hippen Bistro mit Selbstbedienung. "Nur Kartenzahlung" steht am Eingang geschrieben. Das Lesegerät an der Kasse fordert dann auf, Trinkgeld zu geben. Fünf, zehn oder 15 Prozent. Die Kundin klickt, bis sie die Aufforderung überspringen kann - und sucht vergeblich die Spardose für den Tip. "Dann eben nicht", sagt sie und zuckt die Schultern.

Zurück zur Geldwäsche: Klar sind Grenzwerte sinnvoll. Wer eine Luxusuhr kauft, soll bitte nicht die Geldbündel aus dem Koffer holen, sondern ordentlich überweisen. Aber den kleinen Alltag mit Bargeld, den wollen sich die meisten nicht nehmen lassen. Dafür steckt zu viel Gefühl drin.

Pressekontakt:

BERLINER MORGENPOST

Telefon: 030/887277 - 878
bmcvd@morgenpost.de

Original-Content von: BERLINER MORGENPOST, übermittelt durch news aktuell

Weitere Storys: BERLINER MORGENPOST
Weitere Storys: BERLINER MORGENPOST
  • 08.08.2023 – 19:50

    Berliner Morgenpost/Behördenkultur verbessern/Kommentar von Isabell Jürgens

    Berlin (ots) - CDU und SPD hatten sich im Koalitionsvertrag darauf geeinigt, den Wohnungsbau voranzutreiben. Es sollen jährlich bis zu 20.000 Wohnungen in Berlin neu errichtet werden. Dass daraus nichts wird, wie Stadtentwicklungssenator Christian Gaebler (SPD) am Dienstag nach der Senatssitzung einräumte, ist ...

  • 07.08.2023 – 20:20

    Berliner Morgenpost/Hilflose Drohung/Leitartikel von Christian Unger

    Berlin (ots) - Für Innenpolitiker gibt es einen effektiven Weg, um öffentlich Härte gegen Kriminelle zu demonstrieren. Ermittler von Polizei und Zoll, dazu Finanz- und Ordnungsamt filzen in großangelegten Razzien Shisha-Bars, Cafés und Bars in Essen, Bremen oder Berlin. Das ist politisch gewollt. Ministerinnen und Minister lobpreisen den "erfolgreichen Kampf gegen ...

  • 07.08.2023 – 20:11

    Berliner Morgenpost/Schreiner stark unter Druck/Ein Kommentar von Gilbert Schomaker

    Berlin (ots) - Sie wollte in die Offensive gehen: Berlins Verkehrssenatorin Manja Schreiner (CDU) hatte von sich aus am Sonntagabend angekündigt, ihre Doktorarbeit von der Universität Rostock überprüfen lassen zu wollen. Die Hochschule teilte am Montag dann mit, dass sie der Bitte nun entsprechen will. Mit Spannung wird in Berlin das Ergebnis erwartet. Selbst wenn ...