"Berliner Morgenpost": Die Macht der Influencer
Leitartikel von Günter Marks zum Einfluss der Social-Media-Ikonen auf die politischen Entscheidungen und auf das Konsumverhalten junger Menschen
Berlin (ots)
Wenn die Zukunft beginnt, bekommen es die meisten Menschen oft gar nicht mit. Denn eine wirklich neue Entwicklung nimmt ihren Anfang nun mal meist in einer kleinen Nische, ohne großartige Aufmerksamkeit. Je nachdem, wie wichtig eine Neuerung ist, nimmt sie dann im weiteren Verlauf mehr oder weniger Platz im öffentlichen Raum ein. Das gilt für technische Innovationen wie das Smartphone genauso wie für gesellschaftliche Veränderungen durch die sozialen Medien oder auch politische Entwicklungen wie die Partei-Neugründungen in der jüngeren und jüngsten Geschichte Deutschlands.
Auf all diese Innovationen trifft zunächst einmal gleichermaßen zu: Der Charakter des Neuen ist nicht von Anfang an gänzlich klar. Es braucht immer eine Weile, um einschätzen zu können, ob eine Neuerung gut oder böse ist - beziehungsweise ob und in welcher Form sie für eine Gesellschaft gut oder schlecht sein wird. Das Phänomen der Influencer wurde in den vergangenen Jahren zwar durchaus von einer sich steigernden Zahl von Menschen ernst genommen, aber die gesellschaftliche Relevanz tritt erst langsam zutage.
Eine Studie zeigt nun, wie groß der Einfluss der oft zu Digital-Gurus stilisierten Selbstinszenierer vor allem auf junge Menschen ist. Das Institut für Management- und Wirtschaftsforschung (IMWF) für die Baulig Consulting hat 2000 Menschen in Deutschland befragt und kam zu der Erkenntnis, dass Influencer bei jedem Dritten der Befragten sogar Einfluss auf die politische Meinung, das eigene Verhalten oder auch die Geldanlage haben.
Es gibt mittlerweile in so vielen Bereichen Influencer, dass man leicht den Überblick verlieren kann. Viele von ihnen machen Marketing für Produkte und verdienen damit Geld, andere machen auf Missstände aufmerksam, klären auf oder bringen die Menschen anders weiter. Das ist harmlos. Aber mit dem Aufkommen des Influencens ist etwas ins Rutschen geraten, das weit über die heile Welt der Werbung hinaus geht: Einzelne Personen bekommen auf einmal sehr viel Macht.
Der Fußballer Cristiano Ronaldo oder die Musikerin Taylor Swift zum Beispiel. Die eigentliche Macht der beiden Weltstars zeigt sich nicht so sehr in ihrem Marktwert als Künstlerin, Sportler oder Werbeikone, sondern viel mehr an der Zahl ihrer Follower. Wenn Cristiano Ronaldo auf seinem Instagram-Account ein Duschgel in die Kamera hält oder die Unterwäsche zeigt, die er unter seinem eigenen Label vertreibt, dann sehen das ziemlich unmittelbar 620 Millionen Menschen weltweit - fast ein Zehntel der Weltbevölkerung! Ronaldo ist ein Influencer, der auch noch Fußball spielt. So muss man das sehen.
Taylor Swift hat 280 Millionen Follower auf Instagram, aber ihr wird nachgesagt, mit einer Empfehlung für oder gegen Joe Biden beziehungsweise für oder gegen Donald Trump die US-Wahlen entscheiden zu können. Na klar macht sie Musik. Aber sie erreicht eben auch sehr viele potenzielle Wähler, die jeden Tag verfolgen, was sie anzieht, wo und mit wem sie unterwegs ist, wie sie sich fühlt und was sie so denkt oder vorgibt zu denken.
Wenn man dieses Potenzial multipliziert mit der Tatsache, dass sich die meisten jungen Menschen über die Weltlage ohnehin nur noch in den sozialen Medien informieren und dass mit dem Einsatz von künstlicher Intelligenz jeder Social-Media-Beitrag täuschend echt gefälscht werden kann, stehen wir wieder am Beginn einer neuen Entwicklung. In welche Richtung diese geht, ist völlig offen.
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