Westdeutsche Allgemeine Zeitung
WAZ: Tiefensee und der Bahnbonus - Zeit für einen Neuanfang - Leitartikel von Ulf Meinke
Essen (ots)
Bei einer Durchsage an der Bahnsteigkante wäre wohl von "Störungen im Betriebsablauf" die Rede: Der Börsengang ist vorläufig abgesagt, weil die Finanzmarktkrise tobt. Die ICE-Flotte steht auf dem Prüfstand, da die Achsen der Prestigezüge womöglich gefährliche Sicherheitsmängel aufweisen. Derweil plagen den zuständigen Verkehrsminister Wolfgang Tiefensee (SPD) noch andere Sorgen. Geplante Bonuszahlungen an den Bahnvorstand bringen ihn in Bedrängnis. Nachdem Tiefensee in dieser Sache schon einen Staatssekretär gefeuert hat, gerät er nun selbst in Erklärungsnot. Er hat früher als bisher bekannt von der umstrittenen Regelung gewusst.
Tiefensee, über den als "Verkehrt-Minister" gespottet wird, macht insgesamt keine gute Figur. Immerhin sechs Staatssekretäre haben seit seinem Amtsantritt vor drei Jahren das Ministerium verlassen, was durchaus Rückschlüsse auf eine vergleichsweise ungeordnete Amtsführung zulässt. Der einstige Hoffnungsträger der SPD wirkt schon länger wie ein Getriebener. Auch dieser Tage scheint ihm ein klarer Kompass zu fehlen. Kurzum: Tiefensee wird zur Belastung für die Große Koalition.
Bislang sprach Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) ihrem Kabinettsmitglied stets das Vertrauen aus. Sie tat es auch diesmal, was mit den eigenen Gesetzmäßigkeiten einer Großen Koalition zu tun hat. Die komplexe Struktur des Drei-Parteien-Bündnisses wirkt wie ein Schutzschirm für schwache Kabinettsmitglieder.
Weder der zuweilen unmotiviert wirkende Wirtschaftsminister Michael Glos (CSU) noch der Sozialdemokrat Tiefensee fallen in den direkten Einflussbereich der CDU-Vorsitzenden Merkel. So lässt sich erklären, warum es bislang zu keiner größeren Kabinettsumbildung kam.
Aus Perspektive der Kanzlerin ist die Lage zwiespältig: Für die CDU-Chefin hat es strategische Vorteile, wenn die Minister ihres künftigen Wahlkampfgegners SPD nicht zu stark werden. Doch die "Bonus-Affäre" konterkariert auch Merkels Appelle an Deutschlands Manager, Verantwortung zu zeigen und Maß zu halten. Mehr noch: Der Streit liefert den Gegnern der Bahnprivatisierung beste Argumente. Eigentlich sollte der Staatskonzern längst an der Börse sein.
Es ist fatal, dass der Eindruck entstehen konnte, Bahnchef Hartmut Mehdorn und seinen Vorstandskollegen gehe es weniger um das Gemeinwohl und mehr um das eigene Gehalt. Viel Vertrauen wurde zerstört. Es ist Zeit für einen Neuanfang.
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