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WAZ: Selbsttötung im Fernsehen - Das Recht zu sterben. Leitartikel von Thomas Mader
Essen (ots)
Eine begleitete Selbsttötung im Fernsehen - darf man das zeigen? Und darf man so etwas tun? Diese Fragen stellen die Medienwächter und Ärztevertreter allzu reflexartig. Natürlich darf man nicht!, rufen sie. Und schimpfen auf den bösen Filmemacher wie auf die Schweizer Sterbehilfe-Organisation Dignitas, die sich in der Tat zuvor mit populistischen Aktionen angreifbar gemacht hat. Es ist eine möglichst heftige Generalkritik mit dem Ziel, eine Debatte über "das Recht zu sterben" zu unterbinden.
Dabei wäre es hilfreich, vor den Darf-Fragen die Warum-Fragen zu stellen. Warum lässt sich ein Mensch beim Sterben filmen? Warum will das einer filmen? Und warum wollen das vielleicht einige Leute sehen?
Das Anliegen von Craig Ewert, dem unheilbar kranken ALS-Patienten, ist dabei am ehesten nachzuvollziehen. Er wollte nicht länger leiden, er hat sein Leben selbstbestimmt gelebt, und so wollte er auch sterben. Er empfand es als ungerecht und unethisch, dass die Gesetze ihm dies verbieten wollten. Für diese Überzeugung hat er seinen privatesten Moment gegeben.
Man darf annehmen, dass der Filmer John Zaritsky, immerhin Oscar-gekrönt, das Thema ebenfalls aus ethischer Überzeugung und mit politischer Zielrichtung aufgegriffen hat. Natürlich hat er den Tabubruch kalkuliert. Voyeuristisch wird der Film dadurch noch nicht. Denn es ist ja gerade sein Anliegen, den Tod zu enttabuisieren. Ihn als normalen Bestandteil des Lebens zu begreifen. Die Debatte zu ermöglichen. Aus dieser Warte ist der vielgescholtene Voyeurismus einfach: Aufklärung.
In den Augen des Zuschauers wird das Schicksal Ewerts zur Geschichte. Die mag einen aus Betroffenheit angehen oder abstoßen. Sie mag emotional berühren oder ethisch erschrecken. Jedenfalls darf man dem Zuschauer doch nicht den Verstand absprechen, das Gesehene selbst zu beurteilen. Oder rechtzeitig abzuschalten.
Und nun: Darf man so etwas zeigen? Es laufen jeden Tag barbarischere Bilder im Fernsehen: Spektakulär inszenierte Tode in Spielfilmen, die zu Nachahmungen anregen könnten. Todesopfer in den Nachrichten, die nicht gefragt werden konnten, bevor sie gefilmt wurden. Craig Ewert immerhin hat sein Einverständnis gegeben - und solange die Gesellschaft noch um eine Position zum Thema Sterbehilfe ringt, gibt es ein Interesse auch an Erfahrungsberichten.
Schließlich: Ob man so etwas tun darf? Das muss jeder mit sich selbst ausmachen.
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