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WAZ: Merkel entdeckt Förderschieflagen - Wie der Westen zum neuen Osten wird. Leitartikel von Rolf Potthoff

Essen (ots)

Fast 20 Jahre, nachdem Kanzler Kohl von blühenden
Landschaften sprach und Milliardensubventionen in die neuen 
Bundesländer flossen, gibt es das immer noch: Marode 
Verwaltungsgebäude, bröckelnde Schulen, verwildernde Parks und - 
fühlbar zunehmend - Straßen in einem Zustand, der auch Privatpersonen
den Gebrauch von Kettenfahrzeugen anempfiehlt. Nur: Die Erosion des 
immobilen Teils der Nation ist jetzt vor allem da zu finden - im 
Westen.
Aufmerksamen Beobachtern der schrägen Entwicklung, wie Oliver 
Wittke, fiel die Ungleichbehandlung östlicher und westlicher Kommunen
bereits auf, als er noch Oberbürgermeister Gelsenkirchens war. Doch 
selbst wer auf die Absurdität hinwies, dass z. B. 
investitionsschwache, hoch verschuldete Ruhrgebietsstädte sich noch 
höher verschulden mussten, um den Solidarbeitrag zum Aufbau Ost 
leisten zu können, war ein verlorener Rufer in der Wüste. Schlimmer: 
Skepsis an der finanziellen Bevorzugung des Ostens kam für 
Einheits-euphorisierte Politiker einem unpatriotischen Akt gleich.
Jetzt aber weist die Kanzlerin selbst auf die Schieflage hin. 
Gewiss wird deshalb kein Cent des bis 2019 ausgelegten Solidarpakts 
II gestoppt oder umgeleitet. Die Bedeutung liegt vor allem in dem 
politischen Signal, dass zweckerfüllende Förderung nicht nach der 
Himmelsrichtung vergeben werden darf, sondern nach Notwendigkeit zu 
erfolgen hat. (Dass dies Merkel im Westen im Wahljahr Stimmen bringen
wird, ist eine andere politische Komponente; aber auch, dass eine 
über ihren "Verrat an östlichen Interessen" frohlockende Linke im 
Osten auf Stimmenfang gehen dürfte).
In der Sache selbst gibt es eine durchaus konkrete Perspektive 
für westliche Städte. Der Einsatzschwerpunkt der geplanten 
Milliardeninvestitionen im Rahmen des neuen Konjunkturpakets soll 
Verbesserung und Ausbau der Infrastruktur dienen. Da gibt es von der 
Schulensanierung bis zur Verbesserung des Nahverkehrs im Ruhrgebiet 
reichlich zu tun. Die Frage ist: Ob sie sich Finanzhilfen überhaupt 
leisten können.
Bisher nämlich sind Förderprojekte an einen finanziellen 
Eigenanteil gekoppelt. Doch der übersteigt die Möglichkeiten vieler 
Kommunen. Skurril, aber deutsche Realität: Ausgerechnet die Ärmsten, 
die Hilfe am Nötigsten brauchen, gehen wegen dieser Bedingung leer 
aus. Daher muss, wer den Westen aufbauen will, neue Finanzregelungen 
schaffen. Mit Gedanken an eine stärkere Beteiligung von Bund und Land
zugunsten der Städte liegt Fachminister Tiefensee in der Hinsicht gar
nicht schlecht.

Pressekontakt:

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Zentralredaktion
Telefon: 0201 / 804-2727
zentralredaktion@waz.de

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