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WAZ: Finanzkrise - Koalition in Erklärungsnot - Leitartikel von Angela Gareis

Essen (ots)

Zu den Merkmalen der globalen Krise gehört, dass man
morgens in Deutschland aufwacht und mittags denkt, man sei in 
Venezuela, wo Bundeskanzler Hugo Chavez die Enteignung einer Bank 
ankündigt. An das Wort Teilverstaatlichung hatte man sich gewöhnt, 
ebenso daran, über Geldbeträge unterhalb der Milliardengrenze gar 
nicht mehr zu reden. Aber Enteignung?
Abgesehen davon, dass eine definitionsgemäße Enteignung der Hypo 
Real Estate daran scheitern könnte, dass sie vielleicht nichts mehr 
wert ist, wundert man sich zusehends über die Krisenkommunikation der
Bundesregierung. Den Rettungsschirm für Banken lehnte sie erst 
entschieden ab, um ihn dann entschieden aufzuspannen. Über das zweite
Konjunkturpaket wurde angeblich nicht nachgedacht, bis es plötzlich 
die Gestalt von 50 Milliarden Euro annahm. Wer hier Erklärungen 
erwartet, muss Geduld aufbringen. Erklärungen werden Kanzlerin Merkel
und Finanzminister Steinbrück wohl erst in der Rückschau liefern, 
wenn sie wissen, ob etwas funktioniert hat oder nicht. Denn sie 
wollen nicht, was sie tun.
Die Krise erzwingt, dass manche Überzeugung untergeordnet wird. 
Politik offenbart hier eine gewisse Orientierungslosigkeit, was 
Bürgern ein hohes Maß an Vertrauen abnötigt. Um dieses Vertrauen zu 
rechtfertigen, müssten Regierungsvertreter sich enorm bemühen, 
Überzeugung, Orientierung und Begründung überall dort zu vermitteln, 
wo es möglich ist. Ausgerechnet die Kanzlerin aber wagt ein riskantes
wahltaktisches Manöver. Als sie beim CDU-Parteitag in Stuttgart der 
Welt der Bürger einen gedanklichen Besuch abstattete, rechnete sie 
mit der Welt der Finanzexperten ab. Man hätte, erläuterte Merkel, nur
eine schwäbische Hausfrau fragen sollen, die mit der Lebensweisheit 
geantwortet hätte: "Man kann nicht auf Dauer über seine Verhältnisse 
leben." Das war vor acht Wochen.
Inzwischen ist die Republik in eine neue Dimension der 
Verschuldung eingetreten. Gerade erst hat CDU-Wirtschaftsexperte 
Norbert Röttgen der FDP Verantwortungslosigkeit vorgeworfen, weil sie
gleichzeitig Steuerentlastung und Schuldenreduzierung fordere. 
Dennoch verspricht die CDU-Vorsitzende Steuersenkungen nach der 
Bundestagswahl. Entweder sind Schulden für Merkel kein Problem mehr, 
oder sie will um fast jeden Preis Kanzlerin bleiben. Eventuell sollte
sie den Finanzexperten Josef Ackermann nach seiner Lebensweisheit 
fragen: "Ein gutes Image aufzubauen braucht sehr lange. Verlieren 
kann man es mit einer einzigen Handlung."

Pressekontakt:

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Zentralredaktion
Telefon: 0201 / 804-2727
zentralredaktion@waz.de

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